Montag, den 29. September 2005 - Oberländischer Kanal und Elbing

Um 10 Uhr war Abfahrt mit Busfahrer Uwe, Reiseleiter Joachim Bittermann und Ewa vom Hotel Kormoran als Dolmetscherin, weil der Pole im Maschinenhaus von Hirschfeld nicht deutsch sprechen kann. Unterwegs spendierte Herr Bittermann eine Runde Wodka. 

Wir fuhren zuerst nach Osterode am Drewenzsee und dann weiter Richtung Liebemühl und Elbing zur Geneigten Ebene Hirschfeld (vorletzte Ebene vor Elbing), an den von Georg Jakob Steenke erbauten Oberländischen Kanal. Er wurde am 31. August 1860 nach sechsjähriger Bauzeit eröffnet und gehört heute zu den bedeutendsten Attraktionen im westlichen Masuren. Der Kanal verbindet Elbing über den Drausensee mit den großen Seen auf den Höhen des Oberlandes und überwindet dabei einen Höhenunterschied von 100 Metern. Zur Überwindung dieses Höhenunterschieds dienen außer Schleusen (bei Liebemühl und Grünort) so genannte schiefe Ebenen.



Tafel bei Hirschfeld

Am Fuße dieser Rollberge werden die Schiffe auf Wagen geladen und einschließlich der Passagiere, auf Schienen übers Land gezogen. Diese Rollberge sind einmalig in Europa. Es gibt sie sonst nur noch beim Morriskanal in Nordamerika. Am Oberländischen Kanal gibt es 5 dieser Rollberge: 1. Kussfeld (Caluny), 2. Hirschfeld (Jelenie), 3. Schönfeld (Olesnica), 4. Kanthen, (Katy) und 5. Buchwalde (Buczyniec).


Doch wie funktioniert die Technik?
Steenke nutzte das Wasser der Kleppine zum Antrieb eines Schaufelrades, wie bei einer Wassermühle, welches über ein Getriebe eine Seiltrommel antreibt. Mit diesem Seil, das wiederum die großen im Kanal stehenden Räder (Seilscheiben) umlenken, wird der Wagen samt Schiff mit Ladung nach oben gezogen (oder hinuntergelassen). Der gleichzeitig auf dem Nebengleis in Gegenrichtung fahrende Wagen dient als Gegengewicht, so dass mit nur 60 PS Wasserkraft über 600 Tonnen Ladung aufwärts oder abwärts befördert wird. Das wiederholt sich von einem Rollberg zum anderen mit demselben Wasser. Für den mechanischen Teil sicherte sich Steenke die Mitarbeit der Königlichen Maschinenfabrik in Dirschau. Die Güterwagen, auf denen die Schiffe huckepack verladen werden, wurden von der Elbinger Schiffswerft und Maschinenbauanstalt F. Schichau hergestellt. (Heinz J. Will: "Rollberge: Wo Schiffe über Berge rollen")

Wir konnten bei der Geneigten Ebene Hirschfeld beobachten, wie Segelschiffe über den Berg fuhren und im Innern des Maschinenhauses das dröhnende Räderwerk, das von einem Maschinisten bedient wurde,  in Augenschein nehmen. Das große Schaufelrad befindet sich neben dem Gebäude. 

Hier werden noch die alten Maschinen aus dem 19. Jahrhundert verwendet. Auf der großen Trommel im Hintergrund wird das Stahlseil auf- und abgewickelt. Die weißen Stäbe sind die Griffe der Bremsen. 




Die große Trommel mit dem Stahlseil (ein Endlosseil)




Das aus dem Maschinenhaus kommende und in das Maschinenhaus führende Stahlseil wird von den im Kanal stehenden Seilscheiben umgelenkt. 




Hinter den Seilscheiben fährt ein Segelboot auf den im Wasser stehenden Transportwagen.




So sieht es aus, wenn im Oberland Schiffe über Berge fahren. Bei den Pfosten im Wasser wird der Wagen angehalten und das Boot fährt allein weiter. 




Über diese Seilscheiben werde die Stahlseile wieder umgeleitet.

Während früher der Oberländische Kanal dazu benutzt wurde, um Holz, Getreide und Ton zu transportieren, dient er heute nur noch dem Tourismus.

Herr Bittermann erzählte mir beim Beobachten der Schiffe von dem schlechten Material der Feuerwehr von Ilawa. Sie mussten sich bislang mit ziemlich maroden, undichten Schläuchen herumplagen. Deshalb besorgt Herr Bittermann seit einiger Zeit die ausgemusterten Schläuche von der Bremer Feuerwehr, die immer noch gut sind und wenn er nach Ilawa fährt und noch Platz im Bus hat, nimmt er so ca. 60 B- und C- Schläuche, Spritzdüsen, usw. mit. Nach seiner Ankunft in Ilawa ruft er bei der Feuerwehr an und lässt das Material abholen. Dann ist die Freude immer sehr groß.

Nach unserem hochinteressanten Besuch des Oberländischen Kanals fuhren wir weiter Richtung Elbing. Dabei konnten wir auch den Drausensee sehen, auf dem mein Vater als kleiner Junge mit seinem älteren Bruder im selbstgebauten Boot eine Tour unternahm und dabei in einen Sturm kam. Das war nicht ungefährlich, weil mein Vater damals nicht schwimmen konnte. Inzwischen ist der Drausensee ein Naturschutzgebiet und ziemlich verlandet.

Um 13:30 Uhr kamen wir auf dem Parkplatz bei der Nikolaikirche in Elbing an. Auf die obligatorischen Würstchen am Bus verzichteten wir, um keine Zeit zu verlieren. Um 14:30 Uhr war sowieso eine Kaffeepause mit Kuchen angekündigt, eine Spende von Herrn Bittermann für die entgangene Schifffahrt. Um 15 Uhr sollte uns dann ein Stadtführer eine Stunde lang die Altstadt von Elbing zeigen. 




Blick auf den Elbingfluß: links das Hermann-Balkufer mit neuen Giebelhäusern

Wir suchten zuerst nach der  Schichau'schen Lokomotivenfabrik in Elbing-Trettinckenhof, in der mein Großvater Johannes Kapitzke arbeitete. Dort stehen noch mehrere der alten Gebäude, in denen jetzt viele kleine Läden und ein Supermarkt untergebracht sind.



Gebäude der ehemaligen Lokomotivenfabrik Schichau




Gebäude der ehemaligen Lokomotivenfabrik Schichau

Anschließend gingen wir wieder in die Altstadt zurück, um die Gegend beim Alten Markt, die Heilig-Geist-Hospitalskirche, die Marienkirche, usw. zu fotografieren. Es waren bewegende Augenblicke für mich, zum 1. Mal durch die geliebte Heimatstadt meines Vaters zu gehen und immer wieder auf alte Gebäude zu stoßen, die den Krieg überstanden hatten oder wieder aufgebaut wurden, teilweise mit den alten Steinen.   




Die Heilig-Geist-Hospitalskirche in der Heiliggeiststraße




Die Marienkirche




 Zwei alte Giebelhäuser in der Elbinger Altstadt 




Neu gebaute Giebelhäuser in der Elbinger Altstadt


Als wir zum Bus zurückkehrten, bekam Herr Bittermann eine SMS vom Stadtführer mit der Mitteilung, dass er im Stau stecke und erst später kommen könne. Da Herr Bittermann pünktlich um 16 Uhr abfahren wollte, sagte er uns, er würde den Stadtführer wieder wegschicken.

Mein Mann und ich zogen dann noch einmal alleine los und setzten uns auf den Beischlag des Cafés Carillon am Alten Markt, direkt neben der Nikolaikirche, mit Blick auf das Markttor. Dort genehmigten wir uns einen leckeren Eisbecher.



Die Straße "Am Alten Markt" mit Blick auf das Markttor


Auf dem Rückweg zum Bus bemerkte ich, dass eine Tür der Nikolaikirche geöffnet war. Ich wusste, dass in dieser Kirche mehrere Altäre von anderen Elbinger Kirchen stehen, die während des Krieges in verschiedenen Dorfkirchen untergebracht waren. Nach dem Wiederaufbau der Nikolaikirche kamen die Altäre der Marienkirche, der Heiligen-Drei-Königskirche und der Altar der Cadiner Kirche in die Nikolaikirche. Den Mälzenbräueraltar, die Kreuzigungsgruppe und das schöne Taufbecken, kannte ich ebenfalls aus meinen Büchern und freute mich, sie im Original zu sehen.



Blick auf die Nikolaikirche




Der Mälzenbräueraltar in der Nikolaikirche


Beim Altar der Cadiner Kirche musste ich an meine Freundin Margot Wolf denken, die vor diesem Altar in Cadinen heiratete und vor demselben Altar in der Nikolaikirche in Elbing, 60 Jahre später, ihre Diamantene Hochzeit feiern durfte. Ich wäre gerne noch viel länger in Elbing geblieben, aber wir mussten um 16 Uhr pünktlich beim Bus sein.




Der Elbing mit einem alten Gebäude der ehemaligen Schichauwerft

Als wir um 17:45 in Ilawa zurück waren, konnte man den  bei Herrn Salewski bestellten Honig und die geräucherten Aale auf dem Parkplatz vom Kormoran abholen. Nachdem wir unseren Honig im Hotelzimmer verstauten, bummelten wir wieder durch Ilawa, um zu fotografieren. Um 19 Uhr gab es ein Festessen im Hotel: Pastete, Suppe im Brotteig, Zander mit Kartoffeln und Salat, einen Eisbecher mit Früchten und Kaffee.

Dienstag, den 30. August 2005 - Abreise




Letzter Blick aus dem Hotelzimmer

Um 6:30 Uhr mussten wir Abschied nehmen von Ilawa, wo wir eine sehr schöne Zeit verbrachten. Nach einigen Kilometern bekamen wir jedoch Probleme mit unserem Bus. An einem der Hinterreifen war das Luftventil defekt. Der hintere Teil des Busses wackelte wie ein Kuhschwanz. Wir fuhren deshalb nur noch mit ca. 60 km/h und hofften, dass wir es noch bis zur MAN-Werkstatt nach Bromberg schaffen würden. Glücklicherweise war unser Fahrer Ewald Salewski in der Lage, das Ventil auf einem Parkplatz selbst zu reparieren und so konnten wir wieder normal weiterfahren.

Wir erreichten Berlin-Schönefeld pünktlich um 17 Uhr und verabschiedeten uns von unseren Mitreisenden. Da unser Flugzeug erst um 21:15 Uhr startete, konnten wir im Mövenpick-Restaurant wieder gemütlich zu Abend essen. Ab 18 Uhr gab es dort für 10 € eine italienische Tafel mit verschiedenen Spezialitäten. Nach einem ruhigen Rückflug landeten wir um 22:20 Uhr auf dem Stuttgarter Flughafen.

Diese einwöchige Reise war ein wunderbares Erlebnis für mich, das ich nie vergessen werde. Herr Bittermann hat alles bestens organisiert, und wenn nötig, auch improvisiert. Ich bin ihm  sehr dankbar, dass er mir den Besuch von Elbing ermöglichte.


Index

20.09.05 -a-