Teil 4:  Napoleon in Finckenstein


Der damalige Besitzer von Finckenstein und späterer Obermarschall des Königreiches Preußen , Burggraf Friedrich Alexander zu Dohna - Schlobitten und seine Gemahlin Caroline geb. Gräfin von Finckenstein hatten ihre Besitzungen Schlobitten und Finckenstein beim Herannahen des Feindes verlassen und folgten dem Hofe bis nach Memel. Sie hatten 6 Söhne: Alexander (1771-1831), Wilhelm (1773-1845), Ludwig (1776-1814), Fabian (1781-1850), Friederich  (1784-1859) und Helvetius (1789-1821). 



Bild 42: Napoleon reitet über das Schlachtfeld von Eylau.
Nach einem Gemälde von Baron Gros.

Auf den Schneefeldern von Preußisch - Eylau war am 8. Februar 1807 abermals ohne einen entscheidenden Sieg um die Festung Königsberg gekämpft worden; beide Parteien sollen ungeheure Verluste erlitten haben, beide fühlten sich als Sieger. 25 000 Russen und Preußen und 18 000 Franzosen blieben auf dem Schlachtfeld. Die mörderische Schlacht, anfänglich für die Russen ungünstig verlaufend, war durch das rechtzeitige Eingreifen des kleinen Korps der fast vergessenen Preußen wieder ausgeglichen, der Ansturm des gefürchteten Marschalls Davout durch die heldenmütige Tapferkeit eben dieser Preußen zurückgeschlagen und das Schlachtfeld von den Verbündeten behauptet worden.

Der russische Oberbefehlshaber hatte allerdings am folgenden Tage, freiwillig und unverfolgt, den Rückzug nach Königsberg angetreten, aber auch die Franzosen schienen auf eine Fortsetzung der Operationen verzichtet zu haben; die allgemeine Erschöpfung, die Jahreszeit und die Schwierigkeit der Verpflegung so großer Truppenmassen ließen eine längere Waffenruhe erwarten. 

Am 17. Februar trat der Kaiser seinen Rückzug in die Winterquartiere in dem kleinen Städtchen Osterode an, wo er zuerst im alten Ordensschloss sein Hauptquartier hatte. Dort  konnten für seine Unterkunft  begreiflicherweise nur in höchst ungenügendem Maße Vorkehrungen getroffen werden. Hinter ihm lagen die furchtbaren Anstrengungen des Winterfeldzuges in Polen und Preußen, vor ihm die ungewisse, für seine Weltstellung entscheidende Zukunft.

In Frankreich zumal empfing man die Nachrichten von den ungeheuren Verlusten in der Eylauer Schlacht, Zahlen, die in dem pomphaften Siegesbulletin Napoleons doch nicht ganz verschleiert werden konnten, mit begreiflichem Unwillen. Man begann zu fragen, ob der zweifelhafte Ruhm, in weit entlegenen Gegenden unentschiedene Schlachten zu liefern und angestammte Fürsten zu verjagen, um die Mitglieder der kaiserlichen Familie mit Herrschaftsgebieten auszustatten, durch die augenfällige Steigerung der Opfer an Menschenleben nicht zu teuer erkauft sei. Die Anzeichen einer zunehmenden Unzufriedenheit ließen sich nicht mehr in Abrede stellen. Es kam zu massivem Widerstand gegen die Beamten, die mit der Durchführung der Aushebung neuer Soldaten beauftragt waren, so daß in manchen Departments der Kriegszustand erklärt werden musste, weil sich die Bevölkerung auf die Seite der Widerspenstigen stellte.

Das ungewohnte, verhasste nordische Klima, der unabsehbar lange Winter mit seinen Witterungsumschlägen drohten auf Monate hinaus die Erhaltung der Kriegstüchtigkeit der Armee, insbesondere aber seine eigene Behaglichkeit zu gefährden. Als die Verlegung seines Hauptquartiers nach Finckenstein beschlossen war, erschienen die vorausgesandten Quartiermacher mit der Weisung, den Kaiser in denjenigen Zimmern unterzubringen, die Friedrich der Große bewohnt habe. Man hielt sich nicht für verpflichtet, Napoleon darüber aufzuklären, daß seine Voraussetzung bezüglich jenes Monarchen nicht zuträfe, und stellten ihm die die sogenannten Königszimmer zur Verfügung. Diese Räume werden seither als Napoleonzimmer bezeichnet.

Nach der Überlieferung und der historischen Forschung ist Friedrich nur als Kronprinz in Finckenstein abgestiegen, nicht als König.

Am 1. April 1807, gegen Abend,  traf Napoleon I. zu Pferde mit kleiner Begleitung in Finckenstein ein. Berühmt wurde sein Ausspruch beim Anblick des schönen Schlosses:
"Enfin un château!" (Endlich ein Schloss!). Bis 6. Juni 1807, während der Belagerung von Danzig, war Finckenstein sein Hauptquartier, in das bereits am 2. Tage nach seiner Ankunft die junge polnische Gräfin Maria Walewska, geb. Laczinska, die er kurz vorher in Warschau kennengelernt hatte, nachkommen ließ.

Maria reiste an der Seite ihres Bruders Benedikt in einer bequemen, gut ausgestatteten Berline - komplett mit Kochherd und Nachttöpfen - wie in Polen üblich - und Hut und Muff, die Füße in flaumige Decken gehüllt. Mit dem Entschluss, Napoleon in Finckenstein aufzusuchen, hatte Maria unerhört viel Mut bewiesen. Das damit verbundene Risiko war enorm. Mit dieser Reise  trennte sich Maria nicht nur von ihrem Mann, sie verließ auch ihren Sohn - vielleicht für immer.

Napoleon  brachte sie in der Alten Komtessenstube (22) mit dem Kabinett (16) daneben unter, unmittelbar an seinen Räumen (12, 13+15). Er bewohnte den nördlichen Flügel des Schlosses. Zwei größere Zimmer mit der Front nach dem Schlosshofe, also nach Westen, wurden von den diensttuenden Adjudanten des Kaisers bewohnt. Es handelte sich dabei um die neue Bibliothek und die Leutnantsstube. In diesen Räumen hat sich das ganze intime, politische und militärische Leben Napoleons während einer Zeitdauer von 20 Wochen abgespielt.

Im Nordflügel wohnte unten der Großstallmeister Caulaincourt, oben der Oberküchenmeister. Oben im Südflügel wohnte Talleyrand. In den drei Stuben nördlich vom China-Saal einschließlich der Schmelzenstube, lebte Murat, in den drei südlichen der Generalstabschef Berthier. Marschall Bessieres wohnte im Dorf bei dem Doktor Leonhardi, Duroc bei dem Gastwirt Dyck im Wirtshause. Murat und Caulaincourt waren meist zum Essen beim Kaiser, die Marschalltafel, an der alle übrigen aßen, war unten im China-Saale.

Zu Napoleons großer Freude hatten die meisten Räume gewaltige offene Kamine, in denen große Holzscheite brannten. "Wir bewohnen ein Schloss mit vielen Kaminen," schrieb er an Talleyrand kurz nach seiner Ankunft in Finckenstein, "ich stehe in der Nacht gerne auf und setze mich ans Feuer." Mindestens hundert Stabsoffiziere wohnten damals im Haupttrakt des Schlosses, die übrigen kampierten auf dem weiten dazugehörigen Gelände.

Bild 43: Dieses Bild von Maria Walewska wurde wahrscheinlich von Jaques-Louis David, dem Hofmaler Napoleons gemalt. Es ist in der National Gallery in Washington zu sehen. Maria Laczynska (1786-1817) wurde 1805 mit dem 50 Jahre älteren Grafen Walewski verheiratet, der auch dem Sohn, den sie später von Napoleon bekam, seinen Namen gab.

 

Maria Walewska zeigte sich niemals bei Tage, nur der Gärtner hat sie, im Garten bei Dämmerung mit Napoleon spazieren gehend, bemerkt. Einige Male fuhr sie, verschleiert, bei Dunkelheit und kehrte bei Dunkelheit wieder. Mit Ausnahme des Kammerdieners Constant Wairy und Napoleons Sekretär Ménével, sah sie niemanden, nicht einmal ihren Bruder.

Man sagt, auf Schloss Finckenstein habe Napoleon seine glücklichste Zeit mit Maria Walewska verbracht.  Er war jeden freien Augenblick mit ihr zusammen. Sie frühstückten gemeinsam im Bett und der Kaiser diktierte seine Briefe in ihrer Gegenwart. Täglich ritten Kuriere von Finckenstein nach Paris, Rom, Amsterdam, Mailand oder Neapel mit Briefen, Befehlen und Erlassen des Kaisers. Während Napoleon oft ruhelos auf und ab gehend und seiner kleinen goldenen Dose gelegentlich eine Prise Schnupftabak entnehmend, diktierte, saß Maria in einer Ecke, still über ihre Stickerei gebeugt und hörte zu. "Sie ist ein Engel", stand in einem Brief aus Finckenstein an seinen Bruder Lucien, "man kann behaupten, ihre Seele sei ebenso schön wie ihre Gesichtszüge."

In der Stille und Zurückgezogenheit ihres Zimmers im Schloss, von der übrigen Welt abgeschnitten durch eine Mauer absoluter Geheimhaltung, lebte sie in engster Intimität mit dem bemerkenswertesten Mann des Jahrhunderts, dem Mann , den sie seit ihrer Kindheit verehrt hatte. "Ich hatte wirklich das Gefühl, ich sei mit ihm verheiratet," erzählte sie später ihrer Freundin Elisabeth Sabolewska. Die Tatsache, daß ihr Liebhaber der allmächtige Kaiser war, von dessen Wort die Zukunft ihres Landes abhing, trug eher noch dazu bei, daß ihre Gefühle sich vertieften und dass die letzten Reste ihrer Schuldgefühle dahinschwanden. 

 


Bild 44: Brauner Saal, der Festsaal von Schloss Finckenstein, Kupfertiefdruckkarte (Plan Nr. 12)



Bild 45: Brauner Saal (Plan Nr. 12)

Der sogenannte Braune Saal ist der bedeutendste Innenraum des Schlosses. Die Wände sind bis zum Gesims mit Eichenholz getäfelt. Der Name des Saales leitet sich von der nachgedunkelten Naturfarbe des Eichenholzes her. Dieser vornehm ausgestattete Empfangsraum wurde von Napoleon für größere Audienzen genutzt.

Vor der Tür des Braunen Saales schlief als kaiserlicher Wächter der Leibmameluk Rustan. Hier hat wahrscheinlich auch der Empfang des persischen Gesandten stattgefunden.

Der Schah von Persien, Feth Ali, hatte durch die Bedrohung von Russland veranlasst, den Gesandten Riza Bey im April 1807 nach Warschau geschickt, um sich mit Frankreich gegen Russland zu verbünden. Der Gesandte war vom 26. April bis zum 8. Mai in Finckenstein. Er wurde in den Räumen der Königin untergebracht. Napoleon empfing ihn mehrmals in Audienzen, zeigte ihm am 28. April 1807 und den folgenden Tagen 20 Gardebataillone, 30 Schwadronen Gardekavallerie und 30 Geschütze, und erreichte am 4. Mai den Abschluss eines gegen Russland und England gerichteten Bündnisvertrages mit Persien.  


Bild 46: Kaiser Napoleon Bonaparte empfängt den Persischen Gesandten am 28. April 1807 in Finckenstein.

Der Gesandte wird hier durch Talleyrand dem Kaiser vorgestellt. Napoleon hat das Bild später (1820-30) in Paris malen lassen und selbst dem Maler die nötigen Anweisungen aus dem Gedächtnis gemacht. Die Schlachtenbilder an den Wänden des Vorraumes haben aber niemals in Finckenstein gehangen. Dieses Prunkgemälde aus der Davidschule wurde von F. Mulard gemalt. Es befindet sich im Schlossmuseum von Versailles.

Der Saal gewinnt ein festliches Aussehen durch die ringsum laufende Reihe von hohen Wandpfeilern aus Eichenholz in Naturfarbe. Sie stehen auf erhöhten Basen und haben je 7 Kannelüren als Gliederung. Sie tragen holzgeschnitzte korinthische Kapitelle mit Gesichtsmasken zwischen den Voluten. Das verwendete Holz stammte aus dem Finckensteiner Wald.

An jeder Seitenwand stehen vier Pfeiler, welche zwischen sich Wandflächen und die Flügeltüren mit stuckierten weißen Supraporten und die hellen Kamine einfassen. In den Winkeln ist ein verbreiterter Wandpfeiler mit 8 Kannelüren rechtwinklig  eingepasst. Jeweils 6 Pfeiler nehmen die Rückwand und die Fensterwand des Saales ein, und zwar sind die vier inneren Wandpfeiler jeweils als Doppelpilaster den Türen, die beiden äußeren jedoch  (wie an den Seitenwänden) den Eckpfeilern zugeordnet. So  gliedern  insgesamt 24 holzgeschnitzte Wandpfeiler in rhythmischer Gruppierung die holzgetäferten Wände. Über den Pilastern liegt das weiße Stuckgesims, das aus einer unteren Leiste und 54 kleinen Konsolen besteht, die das nächst höhere Gesims tragen.


Bild 47: Napoleon-Vorstube, Fayenceofen (Plan Nr. 13)

Der Ofen in dieser Stube ist ein genaues Gegenstück zu dem Ofen im Chinesischen Saal des ersten Geschosses. Auch er ist nachträglich aufgestellt, da dicht neben ihm der Wandbehang, unter Verkürzung und Verletzung der Malerei entfernt worden ist. Bemerkenswert ist die ursprüngliche, auf Leinwand oder Jute abwechslungsreich bemalte Wandbespannung. 




Bild 48: Napoleon-Vorstube (Plan Nr. 13), eigentlich Wohn-, Arbeits-, Audienz-  und Speisezimmer Napoleons.




Bild 49: Napoleon-Vorstube (Plan Nr. 13) mit  gemalten Stofftapeten am der Nord- und Westwand

Hier hielt sich Napoleon während der Tagesstunden auf, hier standen seine Arbeitstische, hier diktierte er jene zahllosen Korrespondenzen, Orders und Bulletins, von hier gingen Befehle und Anordnungen aus, deren Wirksamkeit die Grenzen des Erdteils überschritt und sich bis nach Persien und Arabien hin verfolgen lässt.

Die Front der Napoleon -Vorstube und des Schlafzimmers geht gen Osten nach dem Garten hinaus, der sich bis zu dem großen Gauden-See erstreckt und von dem Erbauer des Schlosses im damals beliebten französischen Geschmacke angelegt worden war. In dieser Gestalt hat ihn Napoleon vorgefunden. 
 

Bild 50: Napoleon-Zimmer, Himmelbett und Wandmalerei (Plan Nr. 15)

 


Bild 51: Napoleon-Zimmer (Plan Nr. 15)




Bild 52: Napoleon-Zimmer (Plan Nr. 15)

Der Kaiser Napoleon wohnte in dem Appartement vom 1. April bis zum 6. Juni 1807. Das Hauptstück des Schlafgemachs ist das barocke Prunkbett, baldachinartig von einem mächtigen rotseidenen Betthimmel überdacht. Der Baldachin ist mit einer Königskrone und weit ausladenden Spitzen verziert, alles überkleidet von gerafftem schwerem Seidendamast. Die Vorhänge bestehen aus der gleichen roten Seide, gefüttert mit weißer Moireeseide. Die Steppdecke ist rotbestickte weiße Seide. Der Kaiser hat in diesem Paradebett niemals geschlafen, sondern in seinem Feldbett, das in dem engen Raum zwischen dem Paradebett und der Wand aufgeschlagen wurde.

Bild 53: Napoleon-Zimmer, Nordwand mit Kamin und Fayenceofen (Plan Nr. 15)

Der Kamin und der Ofen stehen nebeneinander an der nördlichen Seitenwand. Der Kaminuntersatz aus Marmor trägt den Aufsatz in Stuck mit der üblichen Rosettenumrahmung um das untere Feld, das einen Spiegel enthält. Das Kaminstück ist ein ovales Relief in anmutiger Stuckarbeit, welches das Urteil des Paris darstellt. Paris sitzt umgeben von den drei Göttinnen Venus, Juno und rechts oben Minerva, die mit Helm, Schild und Lanze gekennzeichnet ist. 

Der Ofen trägt auf dem rechteckigen Eisenuntersatz eine Pyramide aus weiß-grauen Fayencekacheln, bemalt mit grünem Rankenwerk, das in einer hohen Schmuckvase endigt. An den vier derben Eisenfüßen fällt auf, daß die übliche Verkleidung aus Fayencekacheln abhanden gekommen zu sein scheint.

Bild 54: Napoleon-Kabinett, Nördliches Eckkabinett (Plan Nr. 16)

An der Wand hängt das lebensgroße Bildnis Friedrichs des Großen in ganzer Figur, nach links gewendet, den Kommandostab in der erhobenen Rechten. Von dem Gemälde existiert keine andere Wiedergabe als die gezeigte Schrägaufnahme. Die vier feingliedrigen Stühle des Eckkabinetts gehören zu einem Satz von Stühlen und einem Sofa in frühester gotischer Stilart des späten 18. Jahrhunderts.



Bild 55: Schloss Finckenstein, Gartenfront nach Osten gerichtet.

Die fünf Fenster im ersten  Stock des Nordflügels rechts vom Eingang  gehören zu den Napoleonzimmern. Die beiden ersten Zimmer, rechts vom dreifenstrigen Mittelsaal, Audienz- und Speisezimmer Napoleons, die beiden folgenden sein Schlafzimmer, das letzte sein Boudoir.

Teil 5 oder Index

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