Als es Nacht wurde über Deutsch Eylau
von
Gerhard Templin
Bearbeitung C. Mühleisen
Schon
oft erbebte Ostlands Erde von unserem Tross und unserem Heer..., so
beginnt ein altes Ostlandlied. Die Geschichte Ost- und Westpreußens ist
eine Geschichte des Ruhmes und auch der Not. Dieser Osten war immer ein
Bollwerk gegen das Slawentum. Kein Land in der Bundesrepublik hat in der
Geschichte so viele Kämpfe erlebt, wie Ost- und Westpreußen.
Da
Ostpreußen laut Friedensvertrag von Versailles vom Reichsgebiet
abgeschnitten war, wurden nach dem 1. Weltkrieg Abwehrstellungen der
Wehrmacht um Ostpreußen errichtet. Es waren aber nur leichte
Befestigungen:
1. Die masurische Kanalstellung
2. Die
Hohensteinstellung 3. Die Ortelsburgstellung
4. Die Johannisburger
Waldstellung
Außerdem erhielt Deutsch Eylau, wegen seines
wichtigen Bahnknotenpunktes im Jahre 1939 eine Schutzstellung mit
einigen Kampfständen. Ferner wurde eine Stellung bei Garnsee errichtet.
Dazu gab es noch das sogenannte "Heilsberger Dreieck", ein
stark befestigtes Gebiet mit einem Kampfgeschwader (Hindenburg).
Nach
den vielen eroberten Gebieten im Osten rechnete man nicht damit, dass
jemals der Krieg eine Wende erhält. Bereits Mitte 1944 war die Front in
die Nähe von Ostpreußen gerückt und schon im Oktober erfolgte ein
Angriff der Russen mit der Einnahme von Goldap und Nemmersdorf. Diese
Orte wurden aber im November zurück erobert. Unsere Truppen waren durch
die Verlegung einiger Divisionen, darunter 4 Panzerdivisionen, nach
Ungarn geschwächt. Dieses war aber noch nicht der richtige Angriff der
Russen. Er wartete bis alle Seen und Flüsse zugefroren waren. Der
Großangriff begann am 13. Januar 1945 mit Stoßrichtung über Deutsch
Eylau nach Elbing, um Ostpreußen abzuschneiden. An anderen
Frontabschnitten griff er auch an. Wir wollen uns aber auf unsere
Heimatstadt konzentrieren.
In der Nacht vom 19. zum 20. Januar
erhielt die Stadt den Räumungsbefehl, weil der Russe einige Kilometer
vor Deutsch Eylau mit seinen Panzern sein sollte. Meine Mutter, die bei
der Feldpost verpflichtet war, kam um 22 Uhr vom Dienst und musste um 23
Uhr mit Schürze und Mantel und einem kleinen Köfferchen die Wohnung
verlassen. Ein Teil der Bevölkerung wurde in offene Güterwagen
verfrachtet, so auch meine Mutter. Ein großer Teil zog seine
Rodelschlitten mit Eltern und kleinen Kindern in Richtung Rosenberg.
Unterwegs erfroren viele Kinder und viele Leute starben durch
Erschöpfung.
Auf
der Flucht (G. Templin)
Etliche Trecks zogen über Deutsch Eylau. Am 20.
Januar wurde Raudnitz unter Bürgermeister Schlaak geräumt. Der Treck
musste auch über unsere Heimatstadt. Schnell wurde gepackt, denn der
Russe kam auf die Stadt zu. Durch die Stauung der Wagen war ein
Vorwärtskommen kaum möglich. Drei Tage und zwei Nächte hat dieser
Treck gebraucht, bis er die Weichsel erreichte. Hier gingen sie über
das Eis in Richtung Westen. Die Lage verschlechterte sich im Laufe des
21. Januar.
Eine andere Gutsfrau aus unserem Heimtkreis
berichtete: In der Nacht vom 20. zum 21. Januar kam durch Fernsprecher
der Befehl zum Packen mit dem Zusatz "Abrücken der Trecks sind
untersagt". Aber keiner traute denen da oben mehr. Deshalb wurden
im Stall die erforderlichen Vorbereitungen getroffen. Auf dem Hof wurden
die Wagen beladen. Der Platz war für den Gutshaushalt und die
Deputantenfamilien eingeteilt. Bei der bitteren Kälte und den
schneeglatten Straßen mussten die Pferde Stollen haben. Diese waren
seit langem Mangelware. Also Hufeisen runter, soweit die Stollen nicht
reichten. Am 21. Januar wurden die Kühe wie üblich gemolken und die
Milch wie immer an die Molkerei geliefert, als ob tiefster Friede
herrschte. Auf dem Treck lagen Kleider, Verpflegung und vor allen Dingen
Futter für die Pferde.
Am 21. Januar kam der Treckbefehl. Gegen 22 Uhr
legten sich die Pferde von zwanzig Gespannen ins Geschirr. Der Mond
beleuchtete gespenstisch die Landschaft. Durch die eiskalte Winternacht
drang das Brüllen des Viehs. Es verband sich mit dem auch in der Nacht
nicht ruhenden Geschützdonner der Front.
Die personelle
und materielle Überlegenheit des Feindes stand im krassen Gegensatz zu
dem Mangel an ausreichenden, besonders beweglichen Kräften und der
erschreckenden Betriebsstoffknappheit auf deutscher Seite. Dieses Fehlen
an Benzin führte zu einer starren Abwehrtaktik und zum Bewusstwein der
Aussichtslosigkeit des Kampfes. Trotzdem hielten tausende tapfere
Soldaten aus und wehrten sich bis zum bitteren Ende. Sie kämpften gegen
die Übermacht des Gegners, um Frauen und Kinder Zeit zur Flucht zu
verhelfen.
Der 22. Januar brachte im Raum der 2. Armee wieder
erhebliche Geländeverluste. Es fehlten die beweglichen Kräfte, die
sich den zahlreichen feindlichen Panzerrudeln vorlegen konnten. Der
Gegner brach an vielen Stellen durch und umging die tapfere 7.
Panzerdivision und die Division Großdeutschland. Den 23. Januar 1945
kann man wohl mit Recht als den schwarzen Tag Ostpreußens bezeichnen,
dann mit ihm sanken alle Hoffnungen ins Grab, die Heimat durch Angriff
zu erhalten. Wenn der Räumungsbefehl der Städte und Dörfer auch nur
einen Tag früher erteilt und der Abtransport in geregelte Bahnen
gelenkt worden wäre, hätte sich dieses Leid vermeiden lassen. Das
alles geht letzten Endes auf das Schuldkonto des brutalen Gauleiters
Koch. Dieser hat sich später noch gerühmt, Hunderttausenden der ihm
anvertrauten Ostpreußen die Flucht über das Haff ermöglicht zu haben.
Über die letzten Tage von Deutsch Eylau:
Am 21. Januar
verschlechterte sich die Lage. Der Russe hatte die Drewenzlinie
durchbrochen. Ein Gastwirt berichtete über die Kämpfe in Deutsch Eylau.
Reste von zwei Kompanien trafen sich am 20/21 Januar in Deutsch Eylau
und wollten sich nach Marienburg durchschlagen. Die Frontleitstelle
setzte sie aber zur Abwehr von Deutsch Eylau ein. Sie gingen in
Stellung. Die 1. Kompanie in der Saalfelderstraße und die 2. Kompanie
zwischen dem Sägewerk Rotkrug und dem Kriegerdenkmal. Die Stadt erhielt
starkes Artilleriefeuer und sie bekamen schwere Verluste.
Am 22. Januar
ging der Kampf zu Ende. Der Russe brach mit seinen Panzermassen in die
Stadt ein. Einige kamen in Gefangenschaft und wurden der GPU
ausgeliefert. Die sadistische Wut war grausam. Einige Soldaten retteten
sich bis Christburg, wurden von den Russen aufgegriffen und erschossen.
Eine andere Abteilung hatte sich auf dem Judenfriedhof verschanzt, um
die Feinde aus Richtung Winkelsdorf aufzuhalten. Nach schweren Kämpfen,
wobei ein junger Offizier einen Nervenschuss erhielt (war mir bekannt),
musste sich die Einheit über den Sportplatz, Rotkrug in Richtung
Rosenberg zurückziehen.
22.01.1945: vor dem Angriff am Judenfriedhof (G. Templin)
Auf dem Hauptbahnhof stand noch ein
Panzerzug, der nach Marienburg durchbrechen sollte. Er kam aber nur bis
zum Bahnübergang "Lorra" an der Strademer Chaussee. Hier
standen einige russische Panzer, die ihn zusammenschossen. Der
Zugführer (ein Onkel von mir) rettete sich durch Flucht über den
Geserichsee in Richtung Lannoch und weiter nach Riesenburg, wo er noch
schwer verwundet wurde. Von dort gelang ihm die Flucht nach Marienburg.
Einen
letzten Bericht erhielt ich von einem Flakoffizier, der nach dem Verschuss der letzten Munition die Stadt verließ und in Richtung
Rosenberg noch einige Flüchtlinge mit seinem Fahrzeug aufnahm.
Aufgrund
der Wehrmachtsberichte, der deutschen und russischen Angaben, stimmen
diese überein. Am 23. Januar haben die russischen Einheiten Deutsch
Eylau besetzt.
Die
letzte Nacht von Deutsch Eylau (G. Templin)
Über unserer Heimatstadt wurde es dunkel. Nur
einige Leute waren dort geblieben. Sie mussten alle Grausamkeiten über
sich ergehen lassen. Der Krieg vernichtete eine Stadt mit
jahrhundertealter Tradition und Aufbauarbeit. Mutwillig wurde alles
zerstört, als schämten sich die Eroberer einer Kultur, die sie nicht
geprägt hatten. Wir aber behalten unsere Heimatstadt im Herzen und
werden die Liebe und Sehnsucht zu ihr in unseren Kindern und
Kindeskindern weiterleben lassen.
Das Nutzungsrecht der
Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard
Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.
|