Deutsch Eylau in der guten
alten Zeit
unter Bürgermeister Grzywacz -
Träger der silbernen
Amtskette. (1895 - 1910)
von Gerhard
Templin / Bearbeitung C. Mühleisen
Meine
Urgroßmutter erzählte noch aus der guten alten Zeit. Sie war so alt,
wie der damalige Reichspräsident von Hindenburg. Sie hat vieles meiner
Mutter berichtet:
Deutsch Eylau war noch bis 1890 ein
verträumtes Landstädtchen. Aber bald wurde sehr viel Militär in die
Stadt gelegt, die dadurch in der Entwicklung zunahm. Die Wirtschaft
wurde angekurbelt. Bald waren es 10 000 Einwohner. Es gab noch keine
Beleuchtung, Kanalisation und Wasserleitungen in den Häusern. Auf den
Straßen und Markt gab es noch Kopfsteinpflaster, aber dieses sollte
sich bald ändern. Noch fuhr der rumpelnde Pferdeomnibus des Hotels
"Kowalski" mit der Klingel an der Deichsel zum Hauptbahnhof,
der damals noch Ostbahnhof hieß.
Pferdedroschke vom Hotel Kowalski (G. Templin)
Der
Marktplatz mit den Hotels Kowalski (links mit Pferdedroschke) und
Kronprinz (rechts) Feldpostkarte 1. Weltkrieg (Sammlung Christa Mühleisen)
Die Stadtschule an der Bahnhofstraße
war auch noch nicht gebaut. Es stand immer noch die Schule an der
Kirche, und es gab eine Privatschule (Goldbach) im Hause, wo später die
Bäckerei Hoffmann war. Aber Originale in der Stadt, die gab es schon.
So
hatte die Ordenskirche (Pfarrkirche) einen Pfarrer Wlotzka, von dem es
einige Anekdoten gab.
Ein Schnellläufer war in der Stadt eingetroffen
und lief in Windeseile um den Markt. Pfarrer Wlotzka kam gerade mit dem
Küster von einer Beerdigung, hielt sich den Bauch vor Lachen, raffte
seinen Talar hoch und lief hinter dem Läufer her. Die Einwohner
klatschten Beifall.
An schönen Sonntagen soll er mit dem
trinkfesten Rittmeister von Lossow (Chef der Kürassiere) in der
Kirchensakristei den Abendmahlswein getrunken haben.
Pfarrer und Rittmeister beim Abendmahlswein (G. Templin)
Seine Predigten
warn in ganz Preußen bekannt. Hier ein kleiner Auszug: Er hatte
sich über seine Gemeinde ordentlich geärgert.
"Geliebte
dem Härrn! Das ist eine schräckliche Nacht gewesen, heut Nacht! Eine
entsetzliche Nacht, keinem von Euch wünsch ich sowas. Nei, heut Nacht,
wie ich so lieg un träum un mich herumwälz vor unruhigen Träumen, da
hab ich dem Härrgott seine Stimme gehört, so ganz von fern. Und was
hat er gesagt? Wlotzka hat er gesagt: Wo hast du deine Lämmerherde? Au,
wei, da ist eine kitzliche Frage für einen, der die Ehre hat, in dieser
vermaledeiten Stadt Pfarrer zu sein, das könnt ihr mir glauben.
Geliebte dem Härrn! Und darum hab ich gedacht, am besten du stellst
dich schlafend, und das tat ich denn auch."
In dieser Art
fuhr er fort und seine Predigt endete mit: "Nu ist Mattai am
Letzten, nu hilft das nuscht, nu mußt die Wahrheit sagen! Lieber Härr,
du irrst dich! Ich hab ja keine Lämmerherde! Ich habe eine
Schweineherde!..."
Diese Kapuzinerpredigt brach ihm aber
nicht den Hals, die Herrn vom Konsistorium hatten Humor. Es kam aber
noch schlimmer. So las er nie die Schreiben, die er erhielt, sondern
machte damit gleich Feuer an. Seine Verfehlungen wurden immer mehr. Er
wurde für die Kirche nicht mehr tragbar. In einer Nacht des Jahres 1897,
es war wie ein sehr kalter russischer Winter, genossen die noch nicht zu
Bett gegangenen Bürger das unerhörte Schauspiel: Der Seelenhirte und
noch ein Betrunkener torkelten durch die Straßen und sangen
ununterbrochen Soldatenlieder. Ein Konsistorialrat wurde persönlich auf
die Bahn gesetzt, um dem Pfarrer die Entlassung zu überbringen. Pfarrer
Wlotzka antwortete:
"Aber Mannchen, ich versteh garnuscht. Ich soll
betrunken gewesen sein - ich? Entschuldjen Se man, da muß ich lachen!
Ich bin mein Lebtag nich sternhagelvoll gewesen. Aber nei, so was
gibt's gar nicht! Und das an dem Abend im Februar war so: Ich bin beim
Tierarzt Schramke eingeladen gewesen, der mein Freund ist, ich allein,
weil er nämlich Junggeselle ist, und wir haben natürlich einen
gehoben. Aber der Ärmste verträgt ja nuscht, weil er's mit dem Magen
hat. Er kuriert das Vieh, aber sich selber kann er nicht kurieren! Beim
nach Hause gehen hört ich ein Stöhnen und Jammern, da lag einer im
Schnee. Es war der Schmiedemeister Lorenz. Ist sonst ein ordentlicher
Mann, nuscht zu sagen, aber er hat viel Kummer mit seiner beälterten
Frau....Einmal in der Mädchenkammer hat ihn seine Frau mit der Magd
erwischt, und da hat sie auf ihn losgedroschen - aber er hat man ganz
ruhig gesagt: "Emmachen, Emmachen, reg dich nicht auf...Hühnerfleisch
is nu mal Hühnerfleisch! Ja so ist der Lorenz." U. a. fährt er
fort: "Wenn sie mich wollen absetzen, weil ich den armen Deivel hab
nicht erfrieren lassen - mir ist recht. Unser Herrgott siehet das Herz
an." Wlotzka wurde entlassen und verschwand von der Bühne.
Im
Sauseschritt kam die Neuzeit über unser so verschlafenes Städtchen. Es
wurde eine moderne Post gebaut und das Telefonieren nahm seinen Anfang.
Überall sah man blitzende Drähte, aber die modernsten Telefonanlagen
waren es nicht, die man nach Deutsch Eylau schickte. Es waren noch die
Holzkisten mit der Klingel, eine Sprechdose und an der rechen Seite war
eine Kurbel und schwere plumpe Hörer. - Man buddelte überall und
verlegte Rohre. Gasbeleuchtung kam nach Deutsch Eylau. Zuerst waren es
die Gaslaternen in den Straßen und bald waren auch die Wohnungen
beleuchtet. Es war ein ziemlich weißes Licht. Ich habe diese
Beleuchtung noch bei meinen Großeltern kennengelernt. Mein Großvater
war im Gaswerk tätig und hatte noch bis vor dem letzten Krieg
Gasbeleuchtung. Überall in der Stadt hingen oder standen Gaslaternen.
Zunächst stand am Hauptbahnhof ein Gasometer, aber bald baute man in
der Oberwallstraße ein modernes Gaswerk. Hier stellte man vor dem 1.
Weltkrieg auch Benzol her.
Einige Jahre später kam die Elektrizität
und das Licht wurde wärmer. Anfangs des Jahrhunderts erhielt die Stadt
auch Kanalisation und eine moderne Wasserleitung. Bisher mussten die
jungen Frauen immer zum Markt gehen, da war eine Wasserpumpe.
Obwohl
es im Altreich schon Automobile gab, (Benzindroschken), hatte man in
Deutsch Eylau noch Pferdewagen. Es gab aber einen Bastler in der
Bahnhofstraße. Es war ein Klempnermeister mit Namen Zantopf. Er machte
nicht nur Töpfe, Wannen und Kochgeschirre heile, sondern baute auch den
ersten Motorenwagen in der Stadt. Die Bevölkerung nahm ihn nicht ganz
ernst. Er hatte aber tüchtige Gesellen, die ihm beim Bauen halfen. Von
den Kürassieren holte er sich einen ausgedienten Krümperwagen. Die
Federung war nicht mehr ganz in Ordnung. Er nahm den Wagen ganz
auseinander und baute vor dem Vordersitz ein großes Lenkrad ein. Wie er
den Motor zustande brachte, blieb sein Geheimnis, und er hat es ins Grab
genommen. Unter dem Fahrgestell liefen zwei geschmierte Fahrradketten zu
Radkränzen von ziemlichem Durchmesser, die auf der Hinterachse saßen.
Ein dickes Auspuffrohr war auch vorhanden. Anstelle einer Hupe hing an
einer gebogenen Eisenstange eine Messingglocke mit Handbetrieb.
Er übte
auf seinem Hof und fuhr dort immer im Kreise herum. Einige Tag später
konnten die Bewohner unserer Stadt dieses Vehikel sehen. Als die Glocke
der neuen Stadtschule die Mittagsstunde läutete, und die Kinder aus der
Schule kamen, sahen sie ein seltsames Gefährt aus Richtung Bahnhofstraße
kommen. Auf dem hohen Kutschbock saß der Klempnermeister und sein
Geselle. Der Meister hatte seinen steifen Hut auf und hielt das Lenkrad,
das so groß wie das hintere Wagenrad war. Mit 10 km Tempo kam der
Motorenwagen gefahren. Er fuhr einige Male um den Marktplatz, um der
Bevölkerung seine Erfindung zu zeigen. Als er in die Osteroderstraße
kam, blieb plötzlich der Wagen stehen. Schwarzer Qualm kam aus dem
Motor. Der Meister zerrte schnell seinen Gesellen vom Sitz. Aus dem
Motor schoss eine gelbe Flamme. Es gab einen lauten Knall und alles
stand in Flammen. Am Zaun des Friedhofs stand der große Meister
angelehnt, hatte den runden Hut abgenommen und sah seinen Traum in
Flammen aufgehen.
Erstes
Auto in Dt. Eylau - ein umgebauter Krömperwagen, deshalb Holzräder,
obwohl es 1905 schon Gummiräder gab. (G. Templin)
Wie schon erwähnt, war die Stadtschule an der
Kirche zu klein und baufällig geworden, deshalb baute man an der
Bahnhofstraße eine neue Schule, die 1899 feierlich eingeweiht wurde.
Die Schule hatte 18 Klassen und 1600 Schüler. Bis 1930 war sie die
größte Schule Preußens. 32 Lehrkräfte waren hier tätig. Die
untersten Klassen waren immer mit über 50 Schülern je Klasse belegt,
heute sind es wohl 32. Die ausgezeichneten Pädagogen waren sehr streng,
aber man lernte viel. Ausfälle durch Lehrer gab es selten, es war immer
ein Ersatz vorhanden. Leiter der Schule war damals Herr Rektor Radloff.
Einige Gymnasialklassen wurden in einem Flügel der Schule
untergebracht. 1905 wurde dann das Gymnasium an der Parkstraße
eingeweiht. - Auch eine höhere Mädchenschule gab es. Die
Schülerinnenzahl betrug 75 junge Mädchen und hatte eine Vorsteherin
und zwei Lehrkräfte. Diese Mädchenschule wurde später in ein
städtisches Lyzeum umgewandelt.
Da Deutsch Eylau um 1900 eine
richtige Soldatenstadt wurde, (2 Infant. Regimenter und ein
Artillerieregiment), baute man etliche Kasernen. Der große Markt und
viele Straßen wurden modernisiert. Auch die Omnibusse der Hotels fuhren
nun mit Motor. Ein neues Krankenhaus in der Gartenstraße wurde gebaut,
das von Diakonissen betreut wurde. 1907 baute man auch das neue
Hauptbahnhofsgebäude, das noch heute steht. Seit 1901 besaß die Stadt
auch eine kaufmännische Fortbildungsschule. - Bis 1905 war alles
Geplante zur 600 Jahrfeier hergerichtet, über die ich schon ausgiebig
berichtet habe. Die Zeit des Fortschritts und der Technik waren in
unserem Städtchen eingezogen.
Copyright Gerhard Templin
& Christa Mühleisen
|