Lieb' Heimatland ade!

v. Gerhard Templin

Bearbeitung: C. Mühleisen

Es ist morgens 4 Uhr. Ich hatte einen unruhigen Schlaf und schaute aus meinem Fenster des Hotels Kormoran auf den Geserichsee. Der Himmel ist violett. Der Wind schläft noch, nur ein paar unentwegte Möwen und Kormorane streifen über die Wellen. Dieses Glück ist so unfassbar, dass mir noch einmal ein solcher Morgen in der Heimat geschenkt wird. Plötzlich geht die Sonne über den Bäumen des Freibades "Kl. Zoppot" auf. Brandrot liegt der Sonnenschein auf dem See und ein leichter Dunst des Wassers dringt zu mir hinauf ins Zimmer. Dank dafür, dass ich noch einmal in der Heimat sein durfte. Die Gedanken wandern zurück in jene Kinderjahre, als die Eltern mit uns Jungens mit dem Ruderboot auf den See fuhren, wo ich schwimmen lernte, meine ersten Angelversuche machte, und mit dem Opa auf die Halbinsel Fichtenort fuhr und Calmus und Birken für das Pfingstfest holte. Bunte Bilder des Glücks kommen in mir auf. Nun sitze ich hier und träume. Es ist wie im Märchen. Allmählich kommen einige Boote auf den See, die in Richtung der Insel Gr. Werder mit dem Scholtenberg fahren.



Deutsch Eylau und der Geserichsee um 1900 (G. Templin)




Terrasse des Strandbades, 1931 (Sammlung C. Mühleisen)




Luftaufnahme mit Blick auf das Strandbad, 1931 (Sammlung C. Mühleisen)

Nach dem Frühstück mache ich noch einen Spaziergang durch die Stadt und am kleinen Geserichsee, der jetzt eine Fontäne in der Bucht vor der Reichsbank hat. Bei Sonnenschein schillert sie in den Regenbogenfarben. Die Angler haben ihre Standplätze, sie wässern scheinbar auch nur ihren Wurm an der Angel, denn ich sehe keinen Fisch. Solche Tage hatte ich als Angler auch. Auf der anderen Seite des Sees fährt gerade ein Personenzug, wahrscheinlich kommt er von Marienburg und fährt zum Hauptbahnhof. Auch der D-Zug Danzig-Warschau fährt hier laufend.



Einkaufszentrum (früher Molkerei)




Rückseite des Einkaufsviertels (früher Molkerei)




Freilichtbühne




Neue Schwimmhalle links neben dem Gymnasium




Die neu renovierte Stadthalle

Ich sitze auf einer Bank am Lyzeum. Wo einst das Sägewerk Schlobach stand, ist heute ein schönes Hotel. Der Lärm der Gatter vom Sägewerk ist mir noch im Gedächtnis. Ich schaue mir noch einmal die Stadthalle und das Rathaus an. Die stolze Ordenskirche aus dem Jahr 1318 steht noch und hat den Krieg gut überstanden. Ich habe sie mindestens dreißig Mal gemalt und auch darüber geschrieben.



Neues Hotel (früher Schlobach)




Neues Hotel - Straßenseite (früher Schlobach)

Ich gehe noch einmal zur alten Reichsbank. Da steht der kleine Dampfer. Kurz entschlossen fahre ich mit. Nur eine Schulklasse ist auf dem Schiff, deren Schüler sich lautstark mit der Lehrerin unterhalten. Ich verstehe kein Wort und das ist gut so, so kann ich die Fahrt genießen. Vorbei an den alten Stätten Scholtenberg, Schönhof, Liebesinsel, bis in die Nähe von Quirren und dann zurück. Noch einmal sehe ich zwei Fischadler in große Höhe kreisen und etliche Kormorane sind auf Fischjagd. Dabei fällt mir ein, dass ich vom Herrn Bürgermeister einen aus Eichenholz geschnitzten Kormoran und auch die Eylauer Fahne als kleines Dankeschön erhielt, die bei mir im Garten am Fahnenmast lustig flattert. Es war bei der Einweihung des Rathauses. Nach der Rückkehr von der Bootsfahrt esse ich noch einmal gebratenen Geserichzander.



Reiher über dem Geserichsee (G. Templin)




Altstadt mit Neubauten




Eylenzbrücke mit Saalfelder Straße


Am Nachmittag nehme ich mir einen Gang zum Silmsee vor. Der Weg ist nicht weit. Vorbei am Sägewerk Rotkrug mit dem Forsthaus, wo früher der alte Föster mit Pfeife und Hund auf der Bank vor dem Hause saß und wir zu Weihnachten unseren Tannenbaum holten.

Der Wald, den ich jetzt betrete, war der größte in Pomesanien (10 x 40 km). Er reichte bis Christburg. Es ist so ruhig hier, man hört nur das leichte Knarren der großen Fichten und Rascheln in den Büschen. Ich sitze am Rand des Silmsees und schaue hinüber auf das Dorf Steinersdorf, das in der Ferne liegt. Mein Blick geht hinweg über die in gold getauchten Wellenkämme in der Nachmittagsonne. Ich kann es kaum fassen, dass ich noch einmal in dieser sagenumwobenen Landschaft sitze. Hierher haben wir in der Schulzeit Ausflüge gemacht und Heimatkunde gelernt.

Als meine Frau und ich vor einigen Jahren hier waren, nahmen wir einige Maiglöckchen und Leberblümchen von hier mit, die sich in unserem Garten vermehrt haben. Auch den Blick über diesen schönen Traumsee habe ich täglich vor Augen. Unser Enkel Maximilian und ich haben ihn auf unsere Garagenwand gemalt. Von diesem Originalblick nehme ich nun Abschied und gehe versunken in mein Hotel zurück.



Der Silmsee auf meiner Garagenwand (G. Templin)


Nach dem reichhaltigen Abendessen sitze ich mit Freunden auf der Terrasse des Hotels mit dem Blick auf den weißen Strand und den See. Der Strand wurde jedes Jahr mit Sand vom "Frischen Haff" aufgeschüttet. Allerdings hat man den Sprungturm abgerissen. Wir tauschen alte Erinnerungen aus und dabei fällt mir das nachfolgende Gedicht ein:

Einsam ging ich durch die Straßen
plötzlich vor mir Dein Gesicht.
Fühlte mich verdammt verlassen,
So ein Glück, nun treff ich Dich.
Es tut so gut, Dich hier zu sehen,
bin so froh mein alter Freund.
Lass' uns um die Häuser gehen,
haben viel zu viel versäumt.
Aber die Zeit stellt tausend Fragen,
so ist das Leben gleich halb so schwer,
haben uns so viel zu sagen,
und unser Glas ist schon wieder leer.
Erzählst mir von Deinen Sorgen,
und ich hör' Dir lange zu.
Draußen wird es langsam Morgen,
und irgendwie bin auch ich wie Du.
Auf geht's, wir ziehn' durch die Nacht
So haben wir's doch immer gemacht
Und pfeifen ganz einfach ein Lied in den Wind,
weil wir Freunde sind.

Der Rotwein macht redselig, aber auch müde und so gehen wir zu später Stunde schlafen. Als ich am nächsten oder auch letzten Morgen aufwache, fällt ein Strahl der Morgensonne in mein Zimmer. Ich mache mein Fenster auf und atme die Seeluft ein. Es ist fast unfassbar, dass mir noch einmal ein solcher Morgen in der Heimat geschenkt wird. Zweiunddreißig Mal habe ich die Heimat nach dem Krieg besucht.

Als der Bus losfährt, spiele ich auf meiner Mundharmonika "Ade, mein lieb Heimatland". Ich muss meine Tränen unterdrücken. Generationen werden diesen schönen See, die Stadt und den Wald erleben und lieben. Ich habe das Gefühl, dass mir die berühmten Zander des Geserichsees weinend nachriefen: "Tschüß Gerhard".


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.