Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün.

von Gerhard Templin

Bearbeitung: C. Mühleisen


Wo hört man noch dieses wunderbare Lied, das einst Wolfgang Amadeus Mozart komponierte? Man hört es im Radio eventuell am 1. Mai, wie auch andere Frühlingslieder, dann beherrscht die englische Musik wieder unsere Lautsprecher. Der 1. Mai ist eigentlich der Beginn des Frühlings. Er wurde im Dritten Reich mit dem Tag der Arbeit gekoppelt und zum Nationalfeiertag erhoben. Wie wurde nun der 1. Mai in unserer Kleinstadt gefeiert?

Am Tage vorher wurde feierlich ein Maibaum vor unserem schönen Rathaus errichtet, mit Blumen und Tannengrün geschmückt und mit Handwerker-Wappen verziert. Lustig flatterten lange bunte Bänder an Reifen. Die Musik spielte dazu und es wurden Frühlingslieder gesungen. Anschließend war Tanz in den Maien in den meisten Sälen der Stadt. Aber nicht mit Diskomusik, sondern mit richtigen Tanzkapellen. Nach Einbruch der Dunkelheit brannte man Feuer auf dem kleinen Geserichsee ab, die den Winter und Dämonen fortjagen sollten.

Nicht jede Stadt war in der glücklichen Lage, eine Garnison zu haben, und so begann der 1. Mai mit einem "Großen Wecken." Da ich gegenüber einer der Kasernen wohnte, konnte ich dieses Schauspiel aus erster Hand erleben. Genau wie am Neujahrsmorgen marschierte eine Einheit der Wehrmacht, bestehend aus einem Spielmannszug mit einem zackigen Tambourmajor, eine Musikkapelle, einem Ehrenzug mit Stahlhelm und Gewehr, voran natürlich ein Offizier zu Pferde, durch die Hauptstraßen unseres Städtchens.

Ich möchte nun dieses Zeremoniell kurz erklären: Auf der Trommel oder Trompete wurden schon zur Zeit der Landsknechte Zeichen gegeben, dass sie des Morgens aufstehen und abends schlafengehen sollten. Die Musikkorps der alten Armee verwendeten beim "Großen Wecken" an Feiertagen zumeist das Lied "Freut Euch des Lebens." Dieses bekannte Lied wurde im Tempo von achtzig Schritten in der Minute ausgeführt, wobei das alte friderizianische Parademarschtempo der "Langen Kerls" zu Ehren kommt. Unmittelbar nach dem "Freut Euch des Lebens" folgte dann im normalen Marschtempo 114 das Locken der Spielleute, und anschließend setzte im Wechselspiel das Musikkorps mit einem Marsch ein. Es war der Parademarsch des 3. Inf. Regiments, das bei uns in der Stadt lag. So ging es durch die ganze Stadt.

Wir wollen uns aber nicht auf das "Große Wecken" beschränken. Es war eigentlich der erste Wandertag in die Natur. Unser großer Wald und die vielen Seen luden zum Wandern oder zu einem Ausflug mit dem Boot oder Dampfer ein. Die Bäume und Sträucher waren schon grün und die Maiglöckchen und der Flieder blühten. Es duftete überall nach Frühling. Sogar die Maikäfer waren schon da und machten öfter viel Schaden an den Laubbäumen. Es summte und brummte in allen Sträuchern und die Vögel, die bereits ihre Jungen hatten, erhielten dadurch gutes Futter.



Maikäfer (G. Templin)

Viele jugendliche Freunde wanderten schon morgens los. Sie hatten Mutters Schinkenbrot und Getränke in ihrem Brotbeutel oder Rucksack. Aber auch die alten Kutschwagen wurden hervorgeholt, überholt und geschmückt. Die Damen in ihrer besten Garderobe, natürlich mit Hut der neuesten Mode. Jede wollte die Schönste sein, obwohl Ostpreußen oder Westpreußen die schönsten Frauen hatte. Am Abend musste so manches Pferdchen die schwankenden Kutscher nach Hause fahren.

Für die Daheimgebliebenen war im Waldschlösschen immer ein Volksfest. Die Liedertafel sang in der Tonhalle und es gab Konzerte. Für die Kleinen gab es Spiele und die Erwachsenen saßen bei einer guten Tasse Kaffee und Kuchen in Meyers Terrassengarten. Diese Gaststätte war für eine gute Bewirtung bekannt.



Tanzende Kinder (G. Templin)





Das Waldschlösschen (G. Templin)

Auch an den übrigen Nachmittagen der Woche war die verglaste Veranda immer gut besucht. Natürlich gab es auch hier Kaffeekonzert. Spaziergänge auf den gepflegten Waldwegen waren eine Erholung. Auch die Vögel machten hier ihr Konzert und der Buntspecht klopfte an den großen Fichten, der hier sein zu Hause hatte. Der Ruf des Kuckucks schallte durch den ganzen Wald. Beim ersten Ruf dieses Vogels wurde bei den Bauern der erste Schinken angeschnitten, der vom Herbst im Rauch hing. Er war besonders gut.

Einen Feiertag möchte ich noch erwähnen und zwar ist immer am 2. Sonntag im Mai "Muttertag." Dieser Tag ist keine Erfindung des dritten Reiches, sondern kam in den zwanziger Jahren aus Amerika zu uns herüber. Zu Ehren der Mütter müsste eigentlich jeder Tag ein Muttertag sein.



Zum Muttertag (G. Templin)

Aber was wäre ein Frühling ohne Sonne, die Lebensspenderin der Natur. Sie gibt Kraft und Energie. Viel zu schnell ging der Mai vorbei und der Sommer kündigte sich an.


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.