Erzählungen aus dem Kreis Rosenberg
aus
Gerhard Templins Schatzkiste.
"Der geheimnisvolle Brunnen"
Bearbeitung:
Christa Mühleisen
In
der Gaststube "Zum blauen Löwen in Pöschdorf stand der Tabakdampf
wie eine Wand. Um die blank gescheuerten Tische saßen die Bauern. Alle
die, die etwas in diesem alten schönen Dorfe zu sagen hatten, redeten
und qualmten, dass es eine Art hatte.
Konnte
man in dem dunstige Dampf den einzelnen auch nicht erkennen, so hörte
man doch an der hellen Stimme, dass der Walter eine Rede hielt. Denn der
Walter konnte reden, auch wenn er nur einer von den Jungen war.
"Ist ja lächerlich", rief er über den Tisch, "ist ja
lächerlich, was ihr da sagt. Ist ja altmodisch, was ihr da sagt, Vater
Muck. Der Ziehbrunnen muss weg. Ist ein Schandfleck für den Ort. Seht
ihn doch an, verkrautet und vermoost, wie er ist. Keiner benutzt ihn,
und die Leute, die vorüberfahren, lachen, wenn sie ihn sehen".
Aber
der alte Muck gab sich nicht so schnell geschlagen. "Das Alter soll
man ehren," knurrte er, und ein paar Grauköpfe nickten mit den
Köpfen, "lass den Brunnen stehen, Walter". Der junge Bauer
schüttelte den Kopf. Seit Monaten versuchte er, das alte Dorf zu
verschönern. Er hatte auch schon manches geleistet. Hatte erreicht,
dass die alte, unbenutzte Scheune von Huber umgelegt wurde und der Blick
ins Tal wieder frei wurde, hatte es geschafft, dass der sumpfige Bach
wieder sauber von Unrat wurde, aber jetzt, aber jetzt, aber hier bei dem
alten Ziehbrunnen versagte alles, was er vorbrachte. Die Alten wollen
einfach nicht. Musste an irgendwas liegen. Aber an was?
Der junge
Bauer ging über den mondbeschienenen Weg nach Hause. Wollte den Vater
fragen, der geruhsam auf dem Altenteil saß. Der Alte schmauchte seine
Pfeife und blickte seinen Sohn mit seinen ernsten Augen an. "Ich
verstehe es nicht", meinte der Junge und knallte die Hand auf den
Tisch. "Sie sträuben sich und ich weiß nicht weshalb. Was soll
das alte Brunnengerüst an unserer Straße, über die die modernsten
Kraftwagen fahren. Der Ziehbrunnen verunziert doch die ganze
Gegend."
"Es ist ein Geheimnis um den alten
Brunnen", lächelte der Alte. "Ein Geheimnis?" staunte
der Sohn und schüttelte ungläubig den Kopf, "Vater Du
spinnst." "Es ist schon so" beharrte der Alte
geheimnisvoll, "der alte Muck weiß es, viele wissen darum, auch
Deine Mutter und ich." "Auch Du?" entgegnete der junge
Bauer und starrte seinen sonst so klugen Vater an," auch Du?"
"Auch ich," fuhr der Alte fort, "wenn man sich in manchen
Nächten über den Brunnen beugt, dann klingt es aus der Tiefe wie ein
Lied."
"Vater," lachte der junge Bauer, "Du
erzählst ja Märchen." "Ich weiß, was ich weiß,"
grunzte der Alte und dampfte den Rauch gegen die Decke, aber er gab
keine Antwort mehr.
Am nächsten Tag fuhr der junge Bauer
in die Stadt. Dauerte bis gegen Abend. Dann kutschierte er über die
Felder zurück. Noch lag der letzte Schein der Sonne wie ein goldgelber
Streif am Horizont, eine seltsame Stimmung schwang in der Luft. Die
ersten Häuser des Dorfes tauchten auf und dort lag ja auch dieser
niederträchtige.....aber was war denn das? War da nicht wer?
"Rita", rief der junge Bauer, "Rita, was machst Du denn
hier?" "Ich mach den Brunnen wieder schön," lachte das
Mädel, lachte und zeigte auf die Arme von ausgerupftem hohen
Gras," er hatte so ein garstiges Kleid um und deshalb magst Du ihn
nicht leiden. Morgen wollen wir seine zerbrochene Mauer ausflicken und
dann wird er wieder wie einst."
Sie stockte plötzlich und
ein verräterisches Rot stieg in ihre Wangen. "Wieder wie
einst", staunte der Bauer und fasste ihre Hand, "glaubst Du
etwa auch an diesen Unsinn mit dem Lied?" "Es ist kein Unsinn,
Walter", sagte sie leise und beugte sich über den Rand,
"hörst Du nichts?" Der junge Bauer lehnte den Oberkörper
über den Rand und hörte. "Höre nur, hörst Du nichts?" Er
ließ ihre Hand nicht dabei los. "Wie schöne Augen Du hast,
Rita", sagte er leise. "Hörst Du nichts?" fragte sie
noch einmal. Er lauschte und plötzlich hörte er, wei das Blut
rauschend in seinen Adern sang. "Ja, flüsterte er, "Rita,
ganz deutlich höre ich es." Zärtlich legte er ihren Kopf an seine
Brust. Der Ziehbrunnen blieb neu hergerichtet als Schmuckstück
mitten im Dorf. An den Abenden fand sich wieder die Jugend bei ihm ein.
Wie einst. Nur wenige aber und nur Verliebte hörten in Vollmondnächten
aus seinem tiefen Schacht das summende Lied der ewigen Liebe.
Drei
Mädchen am Dorfteich (G. Templin)
"Der
Silvesterscherz"
Es war weit
vor dem Ersten Weltkrieg, als sich das Leben in unserer Kreisstadt
Rosenberg nach einem bestimmten Turnus abspielte, denn es passierte ja
nichts welterschütterndes. Die Straßenbeleuchtung bestand noch aus
Petroleumlampen, die von den von der Stadt angestellten Nachtswächtern
betreut wurden. Dieses Amt verwalteten damals die bekannten leutseligen
Männer,der alte Newiger und der gutmütige Zynda, treu und
gewissenhaft. Für die Kälte trugen sie einen warm gefütterten Mantel,
die Burka genannt, die Füße steckten in pelzgefütterten Klumpen aus
Holz, in der einen Hand schaukelte die blank geputzte große Laterne und
beim Durchwandern der Straßen stützen sie sich auf einen Spieß, um
die Spitzbuben am "Kanthaken" zu kriegen, und auf dem von der
Last der Jahre schon gekrümmten Rücken baumelte das Feuerhorn, kurz
Spitzweg hätte keine besseren Modelle für seine Figuren finden
können.
Zur Silvesternacht hatten die beiden Alten es immer
gut, so mancher Stammgast trug seine Dankesschuld für treue
Heimbegleitung in einer Spende eines nördlichen Grogs ab. Da kamen die
jungen Leute aus der Stadt auf den Gedanken, sich einen Scherz mit dem
gutmütigen Zynda zu erlauben. Sie gingen unauffällig einer nach dem
anderen mit dem Wächter der Nacht auf das neue Jahr anstoßen, solange,
bis Zynda vollgetankt war, und er bei Neschendorfs an der Eck auf der
Bank im Flur seinen angeblich kleinen Rausch ausschlafen wollte, damit
er nachher, wenn die Polizeistunde wieder in Kraft trat, seines Amtes
walten konnte. Er hatte aber nicht mit den "Perzenten"
gerechnet, und so schlief er ein und war "reene weg"! Man
versuchte ihn mehrmals zu wecken, umsonst. Darauf hatten die
"Verbrecher" ihren Plan. Schnell holten sie den am Hotel
Rancke stehenden Omnibus, der während der Winterzeit auf Kufen wie ein
Schlitten fuhr, Zynda vorsichtig hineingesetzt und fort gings nach der
benachbarten Stadt Riesenburg, die ja nur 10 km entfernt lag. Die
damaligen Omnibusse sind nicht zu vergleichen mit den heutigen. Sie
waren eine großraumige Glaskutsche, die täglich viermal zu dem 2 km
von der Stadt liegenden Bahnhof fuhr, um die Gäste mit ihren
Musterkoffern zu holen, denn Autos gab es noch nicht viel. In der
Kreisstadt Rosenberg gab es damals nur ein einziges, und das besaß der
Amtsarzt.
Schnell war das Ziel der Reise erreicht, und im Deutschen
Haus neben der Post wurde ausgespannt und Zynda wiederum
vorsichtig ausgeladen - er hatte unterwegs sich nicht einmal gerührt
und schnell an den Stufen des Wrangeldenkmals niedergesetzt. Die jungen
Leute postierten sich unauffällig um den Platz, und warteten der Dinge,
die nun kommen mussten. Die Zeit und die Kälte brachten den guten Mann
bald auf die Beine, wenn auch der Kopf noch nicht klar war, und als er
beim Schein seiner Laterne feststellte, dass der große Zeiger sich der
12 näherte, da rüstete er sich zu seinem Umgang durch sein Revier, und
kräftig setzte er die Pfeife an "und pfiff!" Da, was war denn
das? Da pfiff doch noch einer! Ja, das ist doch aber stark, hier einen
alten Mann zu verulken, dem werde ich....
Und er setzte sich in
Trab in Richtung, von wo der andere Pfiff ertönt war. Und bald traf er
den Übeltäter! Großes Erstaunen beiderseits! Der sah ja gerade wie er
aus. Er holt tief Luft und herrscht ihn an, wie er dazu komme usw.....Da
gibt es nun ein großes Palaver, der andere ist nämlich auch nicht
nüchtern.....Schließlich erklärt ihm der Riesenburger Nachtwächter,
dass er im falschen Revier pfeife, er sei doch nicht in Rosenberg!
Die
Nachtwächter in Riesenburg (G. Templin)
Zuerst
will Zynda das nicht glauben, aber als er auf dem Markt steht, da wird
er ganz klein und denkt nach, wie das nun möglich ist, und er wandert
nun allein weiter. Da gesellt sich ihm wie zufällig einer der jungen
Leute, der Bäcker, zu ihm und begrüßt ihn harmlos und fragt nebenbei,
ob er heute nach hier abkommandiert sei, da doch hier soviele
Kürassiere seien.....Zynda gibt eine unverständliche Antwort, und als
der Bäcker meint, er fahre nun nach Rosenberg, er habe eine
Gesellschaft hier, und wenn er will, könne er auch mitfahren, da sagte
er schnell : "ja!" Schnell geht's zum Deutschen Haus und bald
ist alles verladen. In flottem Trab geht es durch die klare, helle
Neujahrsnacht durch den Wald am Burgalsee und Brunnen hindurch. Bald
waren die Umrisse der Stadt zu erblicken, und als die Glocke von der
großen Kirchenuhr eine volle Stunde schlug, da pfiff mein Zynda in
seinem richtigen Bezirk wieder die Nachtstunde ab, und manch braver
Bürgersmann, der ihn im Halbschlaf hörte, dachte, du kannst ruhig
schlafen, der treue Hüter der Nacht.......Noch lange wurde die
Geschichte vom "Doppelgänger" in der Kreisstadt belacht, das
war ja mal wieder ein Erlebnis im ewigen Trott des Alltags...
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen
von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.
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