Was der Scholtenberg erzählt

von Lehrer Lörke aus Deutsch Eylau

Bearbeitung C. Mühleisen

Mit dem Jahre 1305 tritt Dt. Eylau in die Geschichte ein; der Komtur Sighart von Schwarzburg hat den Lokator Wilhelm mit der Gründung der Stadt beauftragt. Sicher hat aber schon vorher hier eine Siedlung der Preußen bestanden. Folgende Gründe seien hierfür angeführt: Die Lage des Platzes ist außerordentlich günstig, von zwei Seiten umgibt der Geserichsee eine Halbinsel, die an der dritten Seite durch den Abfluss des Sees, den Eylenzfluss, vom Lande getrennt ist, sodass nur noch eine schmale Seite gegen Angriffe geschützt zu werden braucht. Solche Stellen reizen zur Siedlung, und hier kommt noch hinzu, dass in dem außerordentliche fischreichen Geserichsee eine ergiebige Nahrungsquelle vorhanden ist. Die Natur hat also für die Sicherheit und Ernährung der Siedler in gleicher Weise gesorgt. Die Vermutung, dass schon vorher Siedlungen hier gewesen sein müssen, wird verstärkt durch das Vorhandensein von sagenhaften Stätten, die von Menschenhand angelegt worden sind. Eine solche Stätte ist der Scholtenberg auf der Insel Groß-Werder mitten im Geserichsee. Unmittelbar vom Seeufer aus erhebt er sich steil ansteigend und ist vom Hinterland durch einen tiefen Graben getrennt. Eine der höchsten Stellen der Insel ist künstlich erhöht und isoliert worden. Auf diesem Platze wird dann eine Holzburg errichtet worden sein, durch Wehre geschützt, in der die nächsten Einwohner Zuflucht fanden, wenn Feinde nahten, deren Zahl einen Widerstand unangebracht erscheinen ließ.



Scholtenberg mit Burgwohnturm der Preussen (G. Templin)


Wenn man an einem stillen Sommertage auf dem Gipfel des Scholtenberges ruht und den prächtigen Ausblick auf die Stadt genießt, kann die Vergangenheit lebendig vor die Seele treten. Es verschwinden vor unseren Augen die bebauten Felder, dichter Wald tritt an ihre Stelle, und aus dem Urwald blitzen Lichtungen, die aufsteigender Rauch als menschliche Siedlungen verrät. Unsere Lagerstelle ist mit einem Blockhaus bestanden, die steilen Abhänge tragen einen Palisadenzaun, der nur eine mehrfach verrammelte Pforte aufweist.

Jetzt kommen Kähne über den See, die aus einem Urwaldriesen gehauen sind, Einbäume genannt. Hastig nähern sie sich dem Ufer, Krieger springen heraus, die Frauen und Kinder an Land hebend, mit wenigen notwendigen Vorräten an Korn und einem erlegten Stück Wild. In Eile werden die Einbäume im Dickicht geborgen, und die Flüchtlinge begeben sich in die Burg. Verbissener Trotz liegt auf ihren Gesichtern. Eine Botschaft des Häuptlings hat sie hierher gerufen. Mit dem größten Teil seiner Mannen ist er ins Kulmerland gezogen, um gegen einen Eindringling zu kämpfen, der in einer schimmernder Eisenrüstung mit wehendem weißen Mantel kam, geziert mit einem schwarzen Kreuz, der die verehrten Götter lästert und die heiligen Priester erschlägt, der Weiber und Kinder in die Gefangenschaft schleppt und jeden Krieger tötet, wenn er nicht einen fremden Gott anbeten will. Irgendwo muss es zum Kampf gekommen sein, der wieder von den Freunden verloren worden ist, deshalb ruft der Herzog in das alte Versteck. Der verfolgende Feind findet dann nur verlassene Wohnungen.

Da kommen wieder Boote. Aufgeregt gestikulieren die Insassen, sie bringen den Herzog, die Seite zerstochen, den Weidenschild gespalten, den Speer zerspellt. Ein Wehegeschrei erhebt sich, schnell wird der Wunde auf seinem Schilde in die Holzburg getragen. Die Ankömmlinge berichten, dass sie verraten wurden, verraten von einem eigenen Führer. Wutverzerrte Gesichter murmeln Verwünschungen; denn nun heißt es, wieder hier warten, bis die Gefahr beseitigt ist, bis die zurückgebliebenen Späher, die den schmalen Seeteil zwischen Insel und Festland im Norden, die Faule Brücke, leicht durchschwimmen können, Nachricht von dem Abrücken der Feinde bringen.

Doch es kommt anders. Gegen Morgen, als noch die Dämmerung den See in undurchdringliche Schleier hüllt und die Nebelschwaden gleich Gespensterheeren durcheinander wogen, hört die Wache auf dem Scholtenberge von der Seeseite her verdächtige Geräusche wie von Ruderschlägen und leises Klirren der Waffen. Sofort wird die Besatzung alarmiert und alle begeben sich an den Zaun und starren in die wallenden Nebel. "Der Nebel fällt, es wird ein schöner Tag heut", sagt der Posten. Da stößt ein riesenhafter Schatten ans Land, Gestalten erheben sich und springen mit klirrender Eisenrüstung ans Ufer. Jäh zerreißt der Nebel und in dem hell flutenden Sonnenschein sieht die Preußenbesatzung ein Floß am Ufer liegen, von dem die Gegner mit dem weißen Mantel ans Land eilen. Geführt werden sie von einem Waffenlosen in armseliger Kleidung.

"Herr, das ist ein entlaufener Sklave, der unser Geheimnis verraten hat." Mit letzter Kraft springt der Häuptling auf, ergreift einen Speer und erscheint hoch über dem Wall, gebieterisch die Seinen zurückweisend. "Stirb, Jagiello, Du Hund!" ruft er mit Donnerstimme. Erschreckt starrt der Verräter nach oben, der Speer fliegt, und ein Verräterherz schlägt nicht mehr. Aber auch der Preuße ist, von mehreren Speeren der Ritter durchbohrt, seinen Kriegern tot in die Arme gesunken. Nun beginnt der Kampf, aber die Ritter können hier den Vorteil ihrer Bewaffnung nicht so ausnützen wie in offener  Feldschlacht. Sie vermögen die Burg nicht zu brechen. "So mag uns ein anderer Bundesgenosse helfen, wie schon so oft!" ruft der Führer der Weißmäntel, und sie schichten Reisig und Holz um die Burg. Bald lodert die Flamme empor und verzehrt den toten Helden mit seiner Sippe. Befriedigt ziehen die Eroberer ab, und nur der Berg ist als einziger Zeuge von eines Stammes Ruhm und Ende geblieben.