Weihnachtliche Träumerei
von
Gerhard Templin
Bearbeitung: C. Mühleisen
Es
war drei Tage vor Weihnachten, der erste Schnee war über Nacht gefallen
und deckte die weiten Flächen unserer Heimat zu. Er rieselte Stunde um
Stunde unhörbar hernieder. Wie eine Verzauberung sah alles aus. Man
ging abends schlafen und wachte morgens in einer anderen Welt auf.
Hinter dem Haus, wo gestern noch der Garten war, dehnte sich heute eine
glitzernde Fläche. Die Dörfer sahen aus wie aus einem alten Märchen.
Die Kinder freuten sich, die Erwachsenen waren weniger erfreut, so
behinderte der Schnee manche Arbeit. Auch der Briefträger hatte es
schwerer. Unter seinen Schuhen knarrte es, wenn er sein schwerbeladenes
Rad schob. Überall wurde er mit Freude empfangen, denn die
Weihnachtspost war reichlich und jeder wollte ihm etwas gutes tun. Wie
schmeckte so ein großes Stück frischer Napfkuchen zu einer guten Tasse
Kaffee mit Schmand und anschließend noch ein Kornschnaps oder Grog. Wie
oft kam er dann schwankend nach Hause.
Der Vater kam inzwischen
mit einem Tannenbaum von der Försterei heim, unter dem sich noch in der
letzten Nacht in der Schneewehe ein Hase eingekuschelt hatte. Vater
heizte den Kachelofen ein, der im guten Zimmer bullerte. Die
Buchenklötze oder Briketts knisterten und es spritzten Funken aus dem
Schornstein, aber er kam gegen die Kälte an.
Die Mutter stand in
der Küche, packte Pakete und bereitete alles für die Bescherung vor.
Was gab es da nicht alles, Strümpfe aus selbstgesponnener Wolle,
Pulswärmer, dicke Pullover. Da lagen Puppen mit gemalten
Porzellanköpfen, deren Lederglieder mit Heu ausgestopft waren, aber
auch Pfefferkuchen, der aus dem goldgelben Honig der vielen Linden
gebacken war. Auch Marzipan, selbst hergestellt oder von Schwermer und
Liedtke aus Königsberg bestellt. Aber auch die Kinder waren eifrig
dabei. So wurden Nüsse vergoldet, die roten Äpfel poliert und auch
Ketten aus buntem Papier geschnitzt.
Schon an den vorangegangenen
Abenden gab es Bratäpfel aus der Bratröhre und die Kinder hatten rote
Wangen und sangen die alten schönen Weihnachtslieder, u. a. auch
"Alle Jahre wieder kommt das Christuskind auf die Erde nieder, wo
wir Menschen sind". Damals, wie auch heute denken wir darüber
nach, wie und wo werden wir das Christkind empfangen. Vielleicht im
Seniorenheim, im Krankenhaus, im Ausland, auf hoher See oder an den
Gräbern unserer Lieben? Ist man nicht wie elektrisiert, wenn jemand zur
Weihnachtszeit von unserer Heimat erzählt? Man wird dann still und
nachdenklich. Gerade die älteren Menschen suchen dann für einen Moment
die Stille und werden natürlich nachdenklich.
Weihnachten in der alten Heimat (G. Templin)
Wie feierlich war
es, wenn man am Heiligen Abend die alte Ordenskirche in Deutsch Eylau
betrat. Die Menschen waren alle festlich gekleidet. Der Küster
entzündete die Kerzen an dem riesigen Christbaum und auch hier lag eine
erwartungsvolle Stille über dem Raum, nur hier und da unterbrochen von
verhaltenem Husten oder flüsternd gesprochenen Worten. Endlich
erschallten von draußen die Kirchenglocken, abgelöst vom leise
einsetzenden Orgelspiel, der Posaunenchor spielte noch sein letztes
Weihnachtslied vor dem Eingang der Kirche. Altvertraute Weihnachtslieder
erklangen und die Geschichte der Geburt wurde uns wieder zum Wunder.
Nach dem Gottesdienst ging es dann nach Hause. Überall erleuchtete
Fenster mit den festlich geschmückten Weihnachtsbäumen. Wie funkelten
die Sterne über der Stadt. Wenn man Glück hatte, so sah man eine
Sternschnuppe vom nachtblauen Himmel fallen. Sehr oft fielen leichte
Schneeflocken, und es war leichter Frost, der die Ledersohlen unserer
Winterschuhe knarren ließ. Die erwärmte Wohnung nahm uns wieder auf
und nach einigen Minuten klingelten die Glöckchen am Weihnachtsbaum.
Wir
durften das festliche Zimmer betreten. Schon der Duft der Tanne, der
Wachskerzen und Lebkuchen war berauschend. Wenn wir die Gedichte
aufsagten, schaute ein Auge auf den Tannenbaum und das andere auf den
Gabentisch. Beim kritischen Rundgang um den Weihnachtsbaum wurde mit
Befriedigung festgestellt, dass der Weihnachtsmann auch diesmal der
alten Überlieferung treu geblieben war. Da hingen die dicken
Schokoladenzigarren, der Negerjunge aus Schokolade, das
Marzipanschweinchen, Marzipanwürste, Schinken, Gänsebraten und Gemüse
aller Art in naturgetreuer Nachbildung. Weihnachten konnte nun beginnen.
Das Essen wurde serviert und es gab, wie üblich, "Königsberger
Rinderfleck". Meistens war bei uns zum Essen die halbe
Verwandschaft mit Oma und Opa, die dann auch die alten Weihnachtslieder
kräftig mitsangen. Es war ein Familienfest, bei dem aber die Kinder die
Hauptrolle spielten. Heute ist es genauso. Nur heute dreht sich alles um
unsere Enkel, die aber nicht mit Spielzeug zufrieden sind. Ja selbst die
"Bunten Teller" werden noch kaum beachtet. Alle wollen schlank
bleiben, vor allen Dingen die Schwiegertöchter.
Am Heiligen
Abend durften wir etwas länger aufbleiben, spielten einige Zeit im
Weihnachtszimmer oder vertieften uns in ein neues Buch, um dann todmüde
ins Bett zu sinken. In unruhigen Träumen durchlebten wir noch einmal
den herrlichen Abend. Viel zu schnell gingen die Weihnachtstage vorbei.
Auf dem Geserichsee probierte man die neuen Schlittschuhe aus. Es war
für uns eine Freude, als 12-14jährige den kleinen Mädchen die
Schlittschuhe "anzunuddeln", denn wer hatte schon Schuhe mit
festen Schlittschuhen, wie es sie heute nur noch gibt. Zum
Eishockeyspielen wurde oft Vaters Spazierstock benutzt, der aber oft
entzweiging, und der Rodelschlitten kam auf der Winkelsdorfer Rodelbahn
zu Ehren. Aber auch die Skiläufer konnten ihre neuen Bretter beim
Langlauf in den verschneiten Wäldern ausprobieren oder sie fuhren in
die Kernsdorfer Höhen.
Heute träumen wir von Weihnachten fern der
Heimat, obwohl ich immer ein Stückchen Heimat bei mir habe. So wachsen
Tannen vom Silmsee in unserem Garten, Honig aus dem Kreis Rosenberg
steht auf dem Tisch und bei Besuch gibt es den selbstgemachten
Bärenfang, der natürlich brennen muss. So habe ich doch noch
etwas Vergangenheit bei mir, obwohl die Gegenwart von damals nicht
zu ersetzen ist und etwas Stille sollte jeden Tag übrig sein. Vor allen
Dingen am Weihnachtsfest. So möchte im mit einem Satz unseres
unvergessenen Rektors Morgenroth schließen, den er jeden Abend sprach:
"Und einmal nur am Abend stille sein, und einmal nur am Tage mit
deinem Gott allein! Das löst dir manche Frage, das lindert manches
Leid; das Weilchen nur am Tage hilft dir zur Ewigkeit."
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen
von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.
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