Adler im Kreis Rosenberg

Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleisen

Der Volksmund nannte einige Teile unserer großen Wälder "Adlerwinkel", weil dort in alten Zeiten Adler gehorstet haben sollen. Und wir Kinder verbanden mit diesen Sagen aus verklungenen Zeiten wildromantische Vorstellungen von einer urwüchsigen Natur und bevölkerten sie in unseren Gedanken mit kraftvollen, riesengroßen Wesen. Denn das Geschichtenbuch unserer Kinderzeit und ein etwas windschiefer Unterricht in den Schulen hatte ein solches Bild des Adlerlebens in unsere Kinderherzen geritzt. Adler seien Tiere von der Größe kleiner Flugzeuge, sie lebten im Hochgebirge und horsteten dort an steilen, unzugänglichen Wänden, sie raubten Gämsen und auch kleine Kinder. Das wir in dem sogenannten Adlerwinkel weder eine Felswand noch einen Adler zu sehen bekamen, schmälerte unsere Lust keineswegs. Die nachtdunklen Tannen und die himmelhohen Kiefern waren uns Wildheit genug.



Seeadler (G. Templin)

Wo waren nun die Adlergebiete im Kreis Rosenberg? Wir fanden sie am Widlungsee, Moddersee, Schwalgen-, Schwanen- und Kafkensee, Januschauersee bis Geserichsee, Buchten- und Tromnitzsee, Buchtengraben, Schwalgendorfer Wald oder Forst, Januschauer Wald mit Zollnick, sowie am Karraschsee und Gaudensee.



Die Jugendherberge von Zollnick (G. Templin)

Ein Großteil unserer Landsleute denkt bei einem Adler nur an den Steinadler des Hochgebirges und hat keine Kenntnis davon, dass der Steinadler ebenso in den Ebenen Norddeutschlands lebt und dass es außer dieser großen Adlerart noch ein halbes Dutzend anderer Adler gibt. Und nur wenige Ost- und Westpreußen wissen es, dass ihre wunderschöne Heimat nicht nur das Land der tausend Seen, das Land der wilden Schwäne, das Land der vielen weißen Störche, sondern ein Land der Adler ist. Eine große Zahl der Adler schwebt im Sommer und auch Winter über dem einzigartigen Land des Kreises Rosenberg. Hier haben wir 7 verschiedene Adlersorten, der Größe nach: Seeadler, Fischadler, Steinadler, Schelladler, Schlangenadler, Schreiadler und auch Zwergadler. Bleiben wir gleich beim Steinadler.

In den großen Wäldern des Geserichsees wurde im Sommer 1930 ein Steinadler lebend gefangen. 2 Förster haben dieses vollbracht. Er hatte sich an einem Hasen so voll gekröpft, dass er nicht mehr fliegen konnte. Man sperrte ihn in einen Käfig zur Verdauungspause. Inzwischen kam ein Ring aus Rositten und man schenkte dem beringten Adler wieder die Freiheit. Einige Jahre später sah man öfter Steinadler über dem Geserichsee. Einmal hatte einer ein ganzes Gefolge hinter sich. Eine Rohrweihe, ein Milan, 2 Mäusebussarde und ein Fischadler zogen ihm unentwegt nach und gingen in kurzen Stößen auf ihn los. Der Steinadler wehrte sich, indem er sich im Augenblick der größeren Annäherung eines Verfolgers auf den Rücken legte, und seine großen Fänge zeigte und entgegenstreckte.

Der Größte der Adlerarten ist bei uns der Seeadler, der eine Flügelspannweite bis 2,50 m hat. Sein Nest ist fast genauso groß.



Seeadler am Tromnitzsee (G. Templin)

Aufgrund der strengen Schutzmaßnahmen hat sich der Vogel stark vermehrt. Alte Seeadler sind weißschwänzig und daran leicht von den Steinadlern zu unterscheiden. In der Nähe der Seeufer hat er seine Standbäume und ruht dort wie ein Klotz. Wehe den Enten, die bei seinem Erscheinen nicht wegfliegen. Es beginnt dann ein Spiel auf Leben und Tod. Meistens sind es zwei, die die Ente jagen, bis diese nicht mehr tauchen kann. Ihre Todesangst und Atemnot lähmen ihre Kräfte. Zuletzt braucht dann der Adler kaum mehr als einen lässigen Griff, um die erschöpfte Ente zu fassen. Sie jagen dicht über dem Wasser. Die jagenden Adler sind nicht böse, wenn nun einer seine Beute fängt. Der Fänger kröpft sie, während der andere lammfromm auf einem Baum sitzt und keine Anstalten macht, seinem Jagdgenossen die Beute streitig zu machen. Eine große Kolonie war auf der großen Insel im Tromnitzsee. Sie liegt gleich neben der Halbinsel, wo die vielen Kormorane und Reiher beheimatet sind. Früher waren diese beiden Vögel auf der kleinen Insel, deren Bäume aber durch den Kot völlig zerfressen sind. Während bei den Reihern und Kormoranen starker Lärm ist, hört man von den Adlern keinen Laut.



Rüttelnder Adler über Kormorannest (G. Templin)




Kleine Insel im Tromnitzsee, links davon die Inselspitze der Seeadler (G. Templin)

Gefährlich sind die Seeadler, wenn sie Junge haben, dann können sie auch schon mal angreifen. Sie lassen sich senkrecht fallen und wehe dem, der keine Kopfbedeckung hat. Vom Seeadler muss man den Fischadler wohl unterscheiden. Während der Seeadler bis 2,5 m spannt, bringt es der Fischadler auf 1,70 m. Sein weißer Kopf und seine weiße Unterseite macht ihn weithin sichtbar. Der Geserichsee war bei uns das beste Fischadlergebiet. In den höchsten Kiefern lagen die Horste und sehr viele im Schwalgendorfer Forst.



Fischadler (G. Templin)

Flügelschlagend hält sich der jagende Adler über dem Wasser. Erblickt er einen Fisch, so legt er die Flügel an und saust wie ein schwerer Stein senkrecht in die Tiefe. Das Wasser spritzt meterhoch auf und er verschwindet darin. Endlich taucht er auf und trägt seine Beute davon. Wenn ein Mensch sichtbar wird, fliegt er über seinem Horst hin und her. Er ruft warnend "jäpjäpjäpjäpjäp" in langen Reihen, und die Jungadler im Horst drücken sich flach auf den Boden. Sie sind aus der Höhe im Horstreisig nicht zu erkennen. In der Nähe des Horstbaumes sitzt der alte Fischadler und hat von dort den Horst unter Augen und wacht. Den Jungadlern wird allmählich das hingestreckt Liegen zu lang und sie wagen es, ein wenig die Köpfe zu heben. Schon erhalten sie von der Mutter einen Anpfiff. Sofort ducken sich die Jungen, aber nur für einen kurzen Augenblick. Einer steht auf, schiebt sich an den Horstrand und schleudert einen weißen Strahl hinaus. Da wird die Alte böse, sie stürzt herzu und warnt. Manchmal dauert es sehr lange, bis die Alte zum Nest zurückfliegt. Sie stößt dann Rufreihen aus, die auf einen anderen Ton gestimmt sind. Erst dann erheben die Jungen ihre Köpfe.

Bei Sonnenschein stellt sich die Mutter auf die Sonnenseite und spreizt ihre Flügel, damit die Jungen Schatten haben. Die große Mütterlichkeit währt bis zum Tage des Abflugs. Sie hält auch Wache und füttert die Jungen, als wären sie noch ganz klein. Sie beherrscht den Horst und hat auch das kleinere Männchen in ihrer Gewalt. Dieses ist meistens auf Jagd. Aber nicht immer gelingt es, einen Fisch zu greifen. Es ist auch schon vorgekommen, dass der Fisch für ihn zu schwer war, und dass er seine Krallen nicht lösen konnte. Er wurde dann vom Fisch ins Wasser gezogen und musste ertrinken, aber in den meisten Fällen geht es gut. Er kröpft seinen Fisch, der dann zerteilt an die Jungen verfüttert wird.

Auch Schlangenadler konnte man in unseren Wäldern antreffen. Sie hatten hier die besten Lebensbedingungen. In den Wäldern und den vielen Seen kam die Ringelnatter, seine Lieblingsnahrung, sehr häufig vor. Es gab allerdings nicht sehr viele Brutreviere. Den Jungen werden die Schlangen meist im Schlund zugetragen. Der Adler verschlingt die Schlange und manchmal baumelt noch ein Ende der verschluckten Schlange heraus. Auf dem Horst zieht dann der Jungadler an dem heraushängenden Ende und erleichtert so dem Altvogel das Auswürgen. Sie fressen auch Giftschlangen, obwohl sie gegen das Gift nicht gefeit sind. Sie entgehen dem Biss der Schlange durch Gewandtheit.

Eine große Seltenheit stellte bei uns das Brüten des Schelladlers dar. Seine Verbreitung war westlich des Geserichsees. Man nannte ihn auch den großen Bruder des Schreiadlers. Um diesen Vogel zu beobachten, wie auch bei den anderen Adlern, wandte man eine List an. Man ging zu zweien zum getarnten Beobachtungsstand. Die Adler sehen jede Bewegung in der Natur. Nach einer Weile ging einer zurück. Nach der Beobachtung ließ man sich wieder abholen. So betrügt man den Vogel, der nicht übersehen kann, dass einer der Menschen in der Nähe seines Nestes geblieben ist. Dieser Schelladler, den man auch den großen Schreiadler nannte, hatte einen kaffeebraunen Verwandten, den kleinen Schreiadler. Dieser kleine Schreiadler war in unserer Heimat der häufigste Adler. Er legte seinen Horst mitten im Bestand an. Oft war der Wald besonders dicht. Manchmal lag sein Horst in einer niedrigen Astgabel. Ich habe ihn einmal am Buchtengraben getroffen. Er saß ca. 3 m vom Weg entfernt. Als der Förster und ich stehenblieben, machte er zwei Sprünge und verschwand im dichten Unterholz.

Der Schreiadler macht seinem Namen alle Ehre. Kein Adler ruft so viel wie er. Schweigt er, so war es leicht, ihn mit einer Nachahmung des Rufes zu einer Antwort anzuregen. Durch das häufige Kreisen und "Kjück" verriet er sein Brutrevier. Es gab derer bei uns sehr viele, z.B. links und rechts der Chaussee Deutsch Eylau - Rosenberg bis nach Christburg waren zahlreiche Horste. Er hatte dunkle breite Schwingen, in der Mitte einen leichten Knick, wie alle Adler, die Schwungfedern sind wie Finger gespreizt. Diese herrlichen Flieger kreisten meist zu zweien an unseren vielen heißen Sonnentagen. Allerdings gibt es eine Besonderheit bei dieser Adlersorte, sie ziehen meistens nur ein Junges groß. Wenn zwei Junge da sind, so wird das Schwach- oder Zweitgeborene mit dem Fressen benachteiligt, bis es völlig entkräftet ist und dann aus dem Nest geworfen wird.

Die Balzflüge, die der Schreiadler bald nach seiner Rückkehr im April aufnimmt, sind ein wunderbares Schauspiel. Er senkt dabei die Flügel nach unten, kippt vornüber und gleitet im großen Bogen herab, schwingt sich wieder auf und beginnt das Spiel von neuem. Dieses Absinken und Aufbäumen ist von lebhaften Rufen begleitet. Da stolziert der Vogel, der eben noch in der Luft einen so prächtigen Anblick bot, wie ein Storch im Grase umher und fängt Frösche, Mäuse und Grillen. Wie oft sieht man dann, wie er einen Frosch in der Schnabelspitze zum Horst bringt. In Ungarn wird darum der Schreiadler "Froschfänger Adler" genannt.

Wohl legt der Schreiadler zu Anfang Mai zwei schön braun gefleckte Eier, aber nur selten schlüpfen nach 43 Tagen 2 Junge. Bei den Raubvögeln und auch bei den Adlern sind die Weibchen bedeutend stärker gebaut als die Männchen.

Im Laufe der Zeit habe ich sämtliche Adlersorten gesehen. Es soll aber noch einen Zwergadler bei uns geben. Er wurde an der großen Insel des Tromnitzsees gesehen. Er ist klein wie ein Bussard. Unten soll er rahm-gelb-weiß sein und soll wie ein Fischadler aussehen. Er soll vor allen Dingen sehr wendig beim Fliegen zwischen den Bäumen sein.



Schwarzstorch im Buchtengraben 

Ich habe nun genug über die Adler geschrieben. Dabei wollen wir den Buchtengraben nicht vergessen. Er kommt vom Buchtensee und endet nach 1000 m im Tromnitzsee. Er ist ca. 2-3 m breit, aber nur 5 cm bis 30 cm tief. Er wird von einem öffentlichen Weg überbrückt und fließt an einer Wiese vorbei. Diese ist das Gebiet des Schreiadlers. Sie ist feucht und daher schwer zugänglich für Menschen. Hier findet der Adler Frösche, Maulwürfe, Mäuse und Ringelnattern. Dieser Graben fließt unter Baumkronen, Steinen usw. Es sieht ganz romantisch aus, wenn ein Silberstreifen der Sonne durch die Bäume auf den Wasserspiegel trifft. Hier findet man auch den Schwarzstorch und auch die Eisvögel. Kapitale Hirsche gibt es dort. Außer dem Förster lässt sich dort kaum ein Mensch sehen.

Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurden an Frau Christa Mühleisen übertragen.