Ostpreußisches Gold - Bernstein

Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleisen


Kurz vor dem letzten Krieg besuchte ich Königsberg und von dort machten wir eine Fahrt nach Lochstädt an die Ostsee. Es war mitten im Sommer und ein sehr heißer Tag. Wir fuhren mit dem Zug bis Bad Neuhäuser und mussten dann nach Lochstädt auf einem schmalen Pfad (ca. 6 kam) marschieren. Da in der Nacht davor ein starker Sturm war, lag der Strand noch voller Muscheln und Schlick.

Da kam ich zum ersten Mal mit unserem ostpreußischen Gold in Berührung. Man sagte uns gleich, dass man die größeren Stücke abgeben muss, da der Staat nur darüber verfügen kann. Wir hatten Glück und so konnten wir sehr viele kleine Stücke behalten. Damals gab es noch Bernsteinfischer, die nach einem Sturm mit großen Keschern den Strand entlang gingen und sie fischten die großen Stücke.

Wir erfuhren aber auch, dass ca. 20 km weiter der Ort Palmnicken war und dort wurde Bernstein im Tagebau gefördert. Dieser kleine Ort an der Samlandküste war bald in der ganzen Welt bekannt. Schon im Altertum trieben unsere Vorfahren Handel mit der ganzen Welt, vor allem mit dem Orient, Handel gegen Tuche und Öl und später mit den Römern.

Wie kam nun Bernstein nach Ostpreußen?
Es war ein anderes Land und eine heißere Sonne als heute, die Bernstein hervorbrachte. Gewaltige Fichten standen dort in tropischer Wildnis, wo heute die Wellen der Ostsee gehen. Palmen gediehen und Lorbeer, Eichen und riesige Taxus- und Kampferbäume, in freiem, ungehemmtem Wuchs, nur dem Gesetz des Stärkeren untergeordnet. Da tobten tropische Gewitter von unvorstellbarer Stärke und Gewalt und schlugen die Wälder, dass die mächtigen Stämme barsten. Aus den splitternden Wunden der hohen Fichten aber troff das Blut ihres Lebens, das gelbe Harz, in großen Lachen auf den Waldboden, Moose, Halme und kleines Getier in ein zähes, leuchtendes Bett einschließend, aus dem es keine Befreiung gab, nur den Tod im gläsernen Sarge.



Bernsteineinschlüsse (G. Templin)

Die Jahrhunderte ließen das Harz im weichen Waldboden versinken, die Jahrtausende wandelten es zu hartem Stein, nach anderen Jahrtausenden überflutete das Meer den Wald, und die Welt des Nordens erstarb. Die Klumpen goldenen Harzes wurden nach Süden getragen, bis zu dem Lande, das wir heute das "Samland" nennen.



Samland - Steilküste (G. Templin)

In einer mergelähnlichen Schicht, tief unter der Erde, die wir ihrer Färbung wegen die "Blaue Erde" nennen, ruhen nun die Reste jener gewaltigen Wälder der Vorzeit, die Spuren jener Baumriesen tropischen Waldes, und hier ruht auch das versteinerte Harz der Bernsteinfichten in überreicher Menge.

Es kam eine Zeit, da man am Strande nach dem begehrten Stein grub und im Samland mit Baggern den Bernstein aus der Tiefe holte. Ein kleines Dorf wurde bekannt: "Palmnicken".

Der Bergmann ging nun ans Werk, als der Grund unter Äckern und Wiesen des Dorfes fündig wurde. Acht Meter beträgt die Mächtigkeit der Blauen Erde hier und nahezu 30 Meter Deckengebirge liegen darüber. Noch sehen wir nichts, nur der leise Wind trägt den Atem der Ostsee herüber, über der ein wolkenloser blauer Himmel steht.

Da stehen wir plötzlich und unvermittelt vor einem tiefen Tal, oder ist es eine tiefe Schlucht. Es ist ein riesiges Loch in der Natur mit den steil und regelmäßig abfallenden Böschungen, an deren Rande die Eimerketten mächtiger Bagger nagen, ständig in Bewegung, mit rasselnden Ketten, Meter sich seitwärts verschiebend. Polternd leeren die Eimer ihre gelbsandige Last in lange Züge wartender Loren. Glitzernde Gleisschlangen winden sich durch das Tal, den Tagebau. Die voll beladenen Wagen werden von elektrischen Lokomotiven gezogen. Es sieht aus, wie eine Spielzeugeisenbahn, in ganzer Länge des Tagebaues aber erblicken wir einen 20 Meter breiten Streifen von blaugrauer Färbung: Die Blaue Erde, die der mächtige Abraumbagger freigelegt hat. Und auf der Blauerdeschicht wiederum arbeitet ein anderer Bagger und räumt die kostbare bernsteinhaltige Schicht hinter sich in lange Kipplorenzüge.



Palmnicken - Bernsteinabbau im Tagebau (G. Templin)

An mehreren Stellen das gleiche Bild. Als der Zug beladen ist, fährt er zur Klippe an der Bernsteinwäsche. Wagen um Wagen wird gestürzt, und der Inhalt donnert zur Seite hinunter auf schwere eiserne Roste. Hier empfangen ihn armdicke Wasserstrahlen, die unter hohem Druck in die Blaue Erde fahren und sie fortschwemmen. Auf den Rosten aber bleiben große Stücke Bernstein liegen, vom Wasser blank und sauber gewaschen, zum ersten Male wieder am Licht der Sonne, befreit von dem Dunkel langer Zeiten. Was aber durch die Roste hindurch glitt, die kleinen und kleinsten Bernsteinstückchen, das fließt nun über eine lange Reihe von Sieben stetig verkleinerter Maschenweite und wird der Größe nach sortiert und gesammelt, bis nur die Trübe allein abfließt, zurück ins Meer. Nimmt man nun ein faustgroßes Stück Bernstein vom Rost, so sieht es mit seiner Verwitterungskruste aus wie ein raues Kleid. Ein Sonnenstrahl aber lässt plötzlich das Stück in goldigem Schimmer aufleuchten. Wenn man den Stein gegen das Licht hält, so sieht man, dass es ein klarer Stein ist, der wertvollste und begehrteste.

In den Königsberger Werkstätten werden nun die Steine geschliffen und poliert. Man kann dann in sein Inneres hineinsehen, ob es eines jener Stücke ist, die seit Millionen Jahren eine winzige Spinne, eine Mücke oder einen Käfer gefangen gehalten hat, öfter auch Blätter oder Blüten. Wenn dann die Sonne unserer Tage den Stein in goldenem Glanze aufleuchten lässt, wissen wir, dass wir ein Stück Heimat in unserer Hand halten.

Es sind jetzt viele Jahre nach dem Krieg. Russland hat die Bernsteinküste regelrecht ausgebeutet, deshalb ist Bernstein auch so teuer geworden. An der polnischen Küste wird Raubbau getrieben. Man bohrt nachts mit Wasserdruck tiefe Löcher und saugt dann mittels Pumpen und Rohre den Grund 6-8 Meter hoch. Man findet hier noch Bernstein.

Interessant sind die Werkstätten und Läden in Danzig und Zoppot. Hier findet man, wenn man sucht, noch einzelne gute Stücke. - In Polen wird der Bernstein meistens mit Silber verarbeitet. Da ich ein kleines Bernsteinkreuz in Goldfassung haben wollte (zur goldenen Hochzeit) habe ich 2 Jahre gesucht, bis ich ein goldgefasstes Kreuz gefunden habe, das aber auch teuer war. Einschlüsse in Bernstein sind sehr selten und auch sehr teuer. Bernstein ist nicht nur ein Schmuckstück, es soll auch heilende Wirkung haben.



Bernsteinanhänger (G. Templin)

Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.