Die Bewohner unseres
Heimatlandes Westpreußen
seit Besiedlung durch den Orden
von
Gerhard Templin
(Bearbeitung C. Mühleisen)
In
dem Gebiet, auf dem unser Westpreußen entstand, haben seit dem
Mittelalter Prussen, Kaschuben, Polen, Deutsche, Holländer und auch
Juden miteinander gewohnt. Sie hatten aber alle unterschiedliche
Auffassungen.

Kaschubisches
Bauernhaus
Von den bisher genannten Völkern waren die
"Deutschen" die letzten, die in das Land an der unteren
Weichsel kamen. Sie haben dem Land ein Gepräge gegeben, dessen Spuren
noch heute erkennbar sind. Die Forschung beschäftigt sich heute noch
mit der Frage der Herkunft. - Die deutsche Bauerneinwanderung begann
erst in den 80er Jahren des 13. Jahrhunderts, als die letzten
Prussenaufstände niedergeschlagen und das Land vollkommen beruhigt war.
Der
Beweggrund zur Abwanderung aus der angestammten Heimat war kein wie auch
immer geartetes Sendungsbewusstsein der gegen Osten Ziehenden.
Wirtschaftliche Gründe waren der Ausschlag, die Aussicht auf
günstigere Existenzbedingungen, auch auf bessere Stellung in
rechtlicher Hinsicht. Die Landesherren gewährten gegenüber der
einheimischen prussischen Stammbevölkerung Begünstigungen, da sie sich
von der Niederlassung deutscher Bauern, Handwerkern und Kaufleuten
angesichts der höheren Leistungsfähigkeit der Zuwanderer eine Belebung
versprachen. Die deutschen Siedler ackerten bereits mit dem
fortschrittlichen eisernen Scharpflug, während in ihrer Umgebung noch
der hölzerne Hakenpflug in Gebrauch war.

Kolonisten
bei der Kartoffelernte
Bereits nach dem
zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts hörte die Zuwanderung im
wesentlichen auf. Wenn das Deutschtum die Kraft dazu besaß, so lag das
an dem Überwiegen des bäuerlichen Elementes. Auch die kleineren
Städte waren ursprünglich in erster Linie als Märkte für die
Landbevölkerung gedacht und wiesen mit ihren zahlreichen Ackerbürgern
vorwiegend ländlichen Charakter auf.
In der Ordenszeit sind im
ganzen 1.400 deutsche Dörfer und insgesamt 160.000 Bauernhufen angelegt
worden. Die Einwanderung der Deutschen um 1300 erfolgte in zwei großen
Zügen: Einmal auf der alten Handelsstrasse von Breslau zum
Weichselknie, aus Schlesien und der Mark Meißen (dem heutigen Sachsen)
und zweitens zur See von Lübeck, Mecklenburg, Holstein und
Niedersachsen aus.
Die Meißner und Schlesier siedelten in Thorn,
Kulm, Marienwerder und Pomesanien, die Norddeutschen an der See und am
Haff. In Elbing reichten sich Meißner und Lübecker die Hände. - So
hat die Familie Stange, die aus dem Altenburgischen stammte, besonders
in meinem Heimatkreis Rosenberg gesiedelt und eine ganze Reihe von
Dörfern und die Stadt Freystadt gegründet. Die Lübecker Familie
Flemming ist die Erbauerin von Braunsberg und Frauenburg nebst
zahlreichen Dörfern. Preußisch Holland wurde von holländischen
Einwanderern angelegt.

Mennoniten-Kirche
in Nessau bei Thorn
Um das Jahr 1320 verebbte die erste, die
entscheidende deutsche Einwanderungswelle ins Ordensland Preußen, das
dann hauptsächlich von den Folgegenerationen der Erstankömmlinge
weiter besiedelt wurde.
In der zweiten Hälfte des 14., 15., und
16. Jahrhunderts sind nur vereinzelte Siedler nach Preußen gekommen.
Das 16. Jahrhundert ist die Zeit der fremdstämmigen Einwanderer, die
man aufnahm, weil der Staat Menschen brauchte und seine Erträge
steigern musste. Die Volkszugehörigkeit spielte in jener Zeit gar keine
Rolle. Das dem Orden und seinen Nachfolgern angedichtete Bestreben nach
gewaltsamer Germanisierung hat es nie gegeben.
So sind auch die
wenigen neuen Siedler, die der große Kurfürst und der erste König
nach Ostpreußen brachte, nicht aus dem Deutschen Reiche gekommen, aber
sie waren den Preußen durch ein anderes Band verbunden, das damals
stärker wirkte als alle anderen, nämlich durch den gemeinsamen
Glauben, den Protestantismus.
Zunächst kamen Niederländer, das
betriebsamste Volk jener Zeit, für das der Kurfürst auch wegen seiner
niederländischen Gemahlin besondere Vorliebe hegte. Sie wurden
hauptsächlich in der Memel- und Weichselniederung angesiedelt, ganz
augenscheinlich als Lehrmeister für Entwässerung- und Deichbau. Ihre
Zahl ist aber unerheblich. Ihnen folgten die französischen Réfugiés, die
wegen ihres Glaubens verfolgten Reformierten aus Frankreich. Die meisten
blieben in der Mark Brandenburg. Nach Ostpreußen kamen sie in
größerer Zahl erst unter Friedrich I. Meist waren es Gewerbetreibende,
die sich in den Städten niederließen, wo sie in geschlossenen
Gemeinden mit besonderen genossenschaftlichen Vorrechten, u.a. eigener
Predigtwahl, lebten. Ihre Dorfsiedlungen, die nicht zahlreich sind,
zeichnen sich dadurch aus, dass die Dorfsflur an die ganze Gemeinde
verliehen ist.
Alles dies waren nur gelegentliche Ansiedlungen.
Unter Friedrich Wilhelm I. setzte die planmäßige Kolonisation ein.
"Kolonist" wird in amtlichen Schriftstücken nur ein Siedler
genannt, der vorher nicht in Preußen gewohnt hat. Das Streben jener
Zeit ist nun, möglichst viele Kolonisten zu gewinnen, um die
Bevölkerungsziffer zu heben oder, wie man sich damals ausdrückte, das
Land zu "peuplieren". Zu diesem Zwecke betrieb man
planmäßige Kolonistenwerbung im "Auslande", zu dem ja auch
das ganze Deutsche Reich außer Preußen gehörte. Der Erfolg blieb auch nicht
aus. Wir können zwei Wellen der Kolonisation beobachten: Die erste
setzte im Jahre 1722 ein, war 1723 besonders lebhaft und hielt bis 1732
an. Dann trat eine Krisenzeit ein, in der die Neusiedlung ruhte, bis
1732 die neue größere Welle der Salzburger heranzog.
Ziel der
Kolonisation dieser Zeit ist vor allem das durch die Pest der Jahre
1709/10 entvölkerte Gebiet. Die Einwanderer der ersten Welle stammten
vorwiegend aus Süddeutschland. Der Grund ihrer Auswanderung war Landnot
oder Glaubensverfolgung, zahlenmäßig erfasst sind sie nicht. Erst aus
dem Jahre 1736 haben wir eine Zusammenstellung der neuen Siedler, leider
aber nur von 10 Domänenämtern. Man kann daraus wenigstens das
Zahlenverhältnis der einzelnen Landschaften erkennen. Es werden
angegeben: 212 Familien aus Nassau, 202 Schweizer, 95 Halberstädter und
Magdeburger, 83 Franken, 54 Pommern, 24 Pfälzer, 15 Hessen und in
geringer Zahl Sachsen, Anhalter und Braunschweiger. Geschlossene
Dorfsiedlungen bestimmter Landsleute gibt es nicht, die Kolonisten
werden stets zwischen den alten Einwohnern, besonders den litauischen,
angesetzt. Nassauer und Schweizer wohnen oft zusammen, weil sie
gemeinsam eine reformierte Kirche besuchten.

Ost- und westpreußische Siedler auf der Fahrt in die neue Heimat
Die bekannteste und
bedeutsamste Einwanderung ist die der Salzburger, 12.000 Menschen
umfassend. Über sie ist viel geschrieben und berichtet worden, dass man
des näheren nicht mehr darauf einzugehen braucht. Sie sind sozusagen
die Krönung des Kolonisationswerkes von Preußens größtem
"inneren König".
Friedrich der Große hat sein
Augenmerk zunächst auf seine Neuerwerbung Schlesiens gerichtet, seit
1772 aber mit der Kolonisation Westpreußens ein Werk geschaffen, das
dem seines Vaters durchaus gleichwertig zur Seite steht. Von den
Siedlern, die hier neu angesetzt worden sind, kann man 30% auf Polen und
Deutsche aus Großpolen, 40% auf Einwanderer aus dem Deutschen Reich und
darüber hinaus allein 30% auf Württemberger rechnen, die sich wegen
ihres Fleißes und ihrer Bildung besonderer Wertschätzung erfreuten.
Seit
1815 hörte die Kolonisation auf. Bald aber zeigten sich schon die
Früchte der dauernden Blutauffrischung, die der anhaltende Zustrom
neuer Kräfte aus der alten Heimat für Altpreußen bedeutete. Sie
traten schon bei den Befreiungskriegen in Erscheinung und erneuerten
sich immer wieder bis zum Ende des letzten Krieges.
Quellennachweis:
Preußisches Staatsarchiv (1936)
Copyright Gerhard Templin & Christa Mühleisen
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