Der Gaudensee und seine Tierwelt
von
Gerhard
Templin
(Bearbeitung C. Mühleisen)
Vor dem letzten Krieg hatte
es sich in Deutschland längst herumgesprochen, welchen Reichtum die
ost- und westpreußische Natur, insbesondere der Kreis Rosenberg, birgt.
So kamen Tierfotografen und Filmgesellschaften mit ihren großen
Kameras, um die seltenen Vögel in unserem Heimatkreis aufzunehmen.
Unser Landsmann, der Lehrer und Ornithologe Georg Hoffmann, ließ sich
aber nicht beirren, er machte seine eigenen Aufnahmen und Berichte. Er
war ein Meister seines Faches und kein Mensch kannte die Seen und
Wälder mit Wild und Vögeln so gut wie er. So gab es in der Nähe von
Rosenberg bei Finckenstein den Gaudensee, den man heute im Volksmund den
"Toten See" nennt. Heute ist der See eine schwammige Masse und
man kann ihn nicht mehr betreten oder befahren. So sah ich den See vor
zwei Jahren.
Anfang der dreißiger Jahre im vorigen Jahrhundert
waren hier noch ca. 500 Schwäne, die auch hier brüteten. Als Napoleon
Finckenstein bewohnte, ging er oft zur Schwanenjagd. Er soll aber keinen
Schwan getroffen haben, denn er war ein schlechter Schütze. Unser Georg
Hoffmann ging nur mit der Kamera auf die Jagd. Nach seiner Rückkehr als
Lehrer in den Kreis Rosenberg im Jahre 1934 besuchte er zuerst den
Gaudensee. Er war für ihn das "Paradies".
Der Gaudensee ca. 1936
Man konnte damals
noch baden, aber der See war schon halb tot. Schon vor 200 Jahren fing
er an zu verlanden. Man leitete seine Zuflüsse um. Nur einmal im Jahr
wird er noch See für einige Wochen, wenn im Vorfrühling Rinnen und
Gräben überfließen. Sonst ist er ein brodelnder Sumpf. Wenn im Sommer
Wind herrscht, sieht man nur die grünen Wellen des Schilfes, der
Krebsscheren und des Rohres. Er muss wohl früher ein stattlicher See
gewesen sein. Schwäne und Gänse müssen jetzt oft freie Wasserstellen
suchen, aber nur wenige sind vorhanden. Nur für die Kraniche ist der
schwankende Boden ein idealer Nistplatz, denn sie sind Bodenbrüter. Auf
den Krebsscheren brüten Schwäne und Gänse.
Wenn man im März
das trompetenhafte "Korlu" der Kraniche hörte, da war der
Frühling nicht mehr weit. Die Kinder riefen: "der Korlu ist wieder
da", und alles was mit dem Wort Kranich verbunden war, wurde mit
diesem zweisilbigen Wort "Korlu" benannt.
Der See
hatte eine Größe von 163 ha und ist heute nur noch eine Brutstätte
für Vögel. Sie sind im hohen Schilf und Rohr kaum sichtbar. Nur ein
breiter Graben geht heute noch durch den See. Wir können uns heute nur
in die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts versetzen. Das Westufer
entließ den fließenden Graben, der damals schon vorhanden war. Dort
stand eine Fischerbude, da lagen die Fischerboote und Hüttkästen. Hier
nahmen alle Fahrten auf den See ihren Anfang. Der Ausfluss des Grabens
war wie ein Tor, hinter dem der See offen und breit wurde. Links gab es
hohes Schilf und rechts Weidendickicht. In der Schilfecke brüteten
immer die Kraniche.
Kranich
beim Brüten
Sie legten ihren Horst so nahe am Wasser, dass von
den Kiebitzen auf der Wiese bis zu Schwänen, Blässhühnern,
Rohrsängern und Enten fast alle Wasser- und Sumpfvögel ihre
Brutnachbarn waren. Hier hatte Hoffmann sein Versteck aus Sackleinwand.
Er berichtet:
"Nirgendwo kam ich in meinem Leben mit so vielen großen
Schlangen in Berührung wie hier. Sie legten sich nicht nur oben auf
mein Versteck, sondern sie erschienen auch im Innenraum meines Ansitzes,
züngelten aus meinem Rucksack, ruhten auf meinem Rücken und wanden
sich um Arm und Beine. Es waren harmlose Ringelnattern, und es kostete
mich am Anfang etwas Überwindung, sie gewähren zu lassen."
Ein
besonderer Vogel, der im Rohr sein Nest baute, war der
Drosselrohrsänger. Er hat die Angewohnheit zu singen, wenn er aus
seinem Winterquartier im Süden zurück kommt. Er baut sein Nest
zwischen Rohrhalmen (ca. 4 Halme - siehe Zeichnung). Er singt den ganzen
Tag und die Nacht, bis seine Jungen geschlüpft sind. Meist sind es 4
Stück, dann hört er schlagartig auf. Sie haben dann mit der Fütterung
zu tun. Sie wachsen sehr schnell und haben bald keinen Platz mehr im
Nest. Nach 10 Tagen sitzen sie bereits auf dem Nestrand. Die Alten
säubern täglich das Nest vom Kot. Da das Rohr im Winter abgehauen
wird, müssen diese kleinen Piepmätze jedes Jahr ein neues Nest bauen.
Drosselrohrsänger
Über
diesem Sumpfgebiet mit den vielen Sängern erhebt sich landeinwärts,
jenseits der angrenzenden Wiesen, ein breiter Hügelrücken mit einem
Wirtschaftshof, dem Finckensteiner Vorwerk Liebenbruch. Vom Fenster des
Inspektors konnte man die Länge und Breite des Sees überblicken. Wer
dort oben wohnte, konnte die Schwäne und Kraniche sehen, wenn sie im
März kamen. Man sah die vielen See-, Fisch-, Schell- und Schreiadler
jagen und auf den Pfählen sitzen. Oft sah man 10 Stück, die auf Beute
warteten. Aber auch Steinadler wurden hier gesichtet. Man konnte von
dort das kalte Blau des Frühlings und des Herbstes, das graugrüne
Wasser im Sommer und die weiße Eisfläche im Winter sehen. Am Nordufer
sah man im Herbst den mächtigen Buchenwald in seinem prächtigen
Farben. Am Südufer war eine geräumige Halbinsel, die auch Werder
genannt wurde, mit dem Kranichberg und seinen hohen Kiefern. Hier war
auch der Eisvogel zu Hause, und die Milane kreisten über dem Moor. Die
Kiefern bedeckten etwa 40 Morgen Bodenfläche, dort waren die Horste der
Schwarz- und Rotmilane, Bussarde, Baumfalken und Adler. Vor allen Dingen
sind Rotmilane prachtvoll anzusehen. Ich halte sie für die schönsten
und anmutigsten unter allen Greifvögeln. Ihr Flug ist schwungvoll. Sie
kreisen aber auch langsam und gleiten durch die Luft. Sie sind
unheimlich flink und können im Wald zwischen den Bäumen manövrieren.
Der Vogel ist rostbraun vom Körper bis Schwanz und hat einen weiß
gesprenkelten Kopf. Sie hatten ihr Gelege auf dem Kranichberg, so
konnten sie von den hohen Kiefern den ganzen See überblicken.
Rotmilan mit Jungen
Jedoch
nahmen die Schwarzmilane überhand. Sie sind aber beide die häufigsten
Raubvögel. Wenn sie einmal über eine Ansiedlung fliegen, dann ist kein
Bauernhof sicher und sie lassen keinen Hof aus. Sie sind auch sogenannte
Lumpensammler. So hat man im Horst auf dem Kranichberg alte Lumpen,
zerrissenes Papier und sogar eine Schuhsohle gefunden. Oft sah man auch
Fischotter auf dem See. Alte und auch Jungtiere gab es hier in
größerer Zahl.
Die größten Feinde für die Brut der Vögel
waren die Krähen, die aus den Nestern im Frühjahr die Eier stahlen und
auch kleine geschlüpfte Enten, Schwäne und Gänse töteten und
verschleppten. Aber auch der Mensch stahl Gänse- und Schwaneneier. Er
verkaufte sie für die Küche und nahm die Gänseeier zur Kreuzung mit
Hausgänsen. Die Gänse und Schwäne nahmen auf dem Gaudensee rapide ab,
bei einer Hausdurchsuchung wurden über 100 Eier gefunden. Nachdem der
Diebstahl unter Strafe gestellt wurde, stieg die Zahl der Schwäne im
Jahr 1936 wieder auf 269 an. Auch Schwarz- und Rotwild waren am
Gaudensee zu Hause, des öfteren wurden Hirsche, sogar 16-Ender gesehen.
Man
hatte auch vom See einen wunderbaren Blick auf den gepflegten Park mit
dem Schloss Finckenstein. Nur selten zeigte sich hier ein Mensch. Park
und Schloss waren ein Stück Weltgeschichte. Kultur und Natur lebten
hier in einer wunderbaren Harmonie. Jede Fahrt auf dem schönen See war
immer ein Abschied. Der aller schwerste war aber der Januartag des
Jahres 1945. Georg Hoffmann hat hierzu erzählt:
"Als die
russischen Panzer bereits die Kreisgrenze erreicht hatten, fuhr ich auf
dem Fahrrad zum See. Er lag unter einer starken Eisdecke. Ich fuhr über
Liebenbruch zu meinem Versteck im Entenwinkel, der mir so ganz besonders
viel geschenkt hatte. Jetzt brauchte ich nicht mehr auf den Steig aus
Erlenstämmen zu achten. Das Eis trug auf allen Seiten der getarnten
Hütte, die tief verschneit war. Ich lehnte mich an ihr Dach, träumte
zurück und dachte voraus, und beides tat gleichermaßen weh. Bevor ich
ging, trat ich noch einmal auf die Seefläche hinaus und sah auf das
ferne Schloss. Da löste sich aus dem Westufer ein Schlittengespann und
strebte über die weite Eisfläche auf mich zu. so wartete ich, der
Fischpächter Otto Klinger stieg aus. Es war gut, dass wir uns noch
einmal trafen. Ich dankte ihm, dass er mich auf dem See nach meiner Lust
hatte schalten und walten lassen, und das er mir jahrelang die Boote
gegeben hatte. Als ich dann wieder alleine war, ging ich noch einmal zu
meiner kleinen Hütte und dankte aus vollem Herzen für das Glück und
Erleben, für den Reichtum und den Frieden, für die Schönheit und die
Gnade."
Quellennachweis: Vortrag von G. Hoffmann (1950)
in Hannover Zeichnungen: Gerhard Templin
Copyright:
Gerhard Templin und Christa Mühleisen |