Die letzten Angelfahrten auf dem Haussee
bei
Schönberg
von Gerhard Templin
(Bearbeitung
C. Mühleisen) Wir schreiben das Jahr 1944. Ein Jahr
der Entscheidungen in unserer alten Heimat. Es gab aber noch einige
ältere Leute, die unvergessliche Stunden erlebt haben. Ich möchte von
zwei Anglern erzählen. Der eine mit seinem Erlebnisbericht im
Frühsommer und der andere schildert den Spätherbst des Jahres 1944.
Bei
meinen Besuchen in der alten Heimat fahre ich immer zur Burgruine
Schönberg mit dem Haussee. Die Burg wurde von 1306 - 1386 erbaut. Sie
war bis zur Flucht durch die Grafen von Finckenstein bewohnt.
Ich
schaue mir von den hohen Mauern den langgestreckten Haussee an. Überall
auf dem See die gelben Mummeln und Wasserrosen, die sich durch das Grün
der Bäume abheben. Diesen Blick muss auch der Graf gehabt haben, als er
zum Angeln auf den See fuhr. Er fuhr an einem Sonntagmorgen mit seinem
Boot und einigen Angeln auf den See. Er ist kein Sportangler mit
Blinker, usw., sondern er will "Stippangeln", "den Wurm
baden", wie der Sportangler verächtlich sagt. Die Hauptsache war
bei ihm nicht die Beute, sondern das Erlebnis des sommerlichen
Sonntagmorgens. Es ist noch nicht ganz hell und so macht er sein Boot in
der kleinen Bucht, wo das kleine Flüsschen "Ossa" aus dem
Haussee fließt, fest. Hier stößt die große Rasenfläche des Parks an
den See. Von hier aus sieht man in den Baumsilhouetten die Konturen der
alten Ordensburg mit ihren hohen Türmen und Giebeln. Für diesen
Anblick lohnt sich diese frühe Fahrt. Unser Angler glaubt nicht an
reiche Beute. Trotzdem wirft er die Angel aus. An dieser Stelle wird er
immer von einem Froschkonzert begrüßt, aber heute ist kein Laut zu
hören. Nur der alte Vorsänger quakt, aber sein Chor setzt nicht ein.
Plötzlich, als der gräfliche Angler nicht auf die Angel sieht,
macht der Schwimmer eine Bewegung. er legt sich hin und bewegt sich
seitwärts. Er meint, dass einige Weißfische an seinem Tauwurm
herumknabbern und er will die Angel herausnehmen und weiterfahren, aber
der Haken sitzt fest. Es ist kein Widerstand eines sich wehrenden
Fisches. Vorsichtig zieht er die Angel, um nicht den Haken abzureißen
und ist erstaunt, dass er einen armdicken Aal in das Boot zieht. Es ist
eine seltene Anglerbeute. Trotzdem fährt er weiter. Er trifft einen
alten bekannten Angler, der bis zum Bauch im Wasser steht, trotz des
rheumasteifen Beines. Der Graf grüßte freundlich. "Na, wie
beißen sie denn?" fragt der Graf. "Ach, mit dem Perschkes
(Barschen) ist noch nuscht los. Eine Menge Rotaugen schwirren hier
herum, da habe ich die Angel ganz flach gestellt und mit Glasers
genagelt (Libellen), das hat was gelohnt, aber jetzt sind sie weg."
Auf
der Wasserfläche sind noch einige leichte Nebelschwaden, als der Graf
in eine vorspringende Rohrspitze fährt, da hier oft Barsche und Hechte
stehen. Überall ist Vogelgezwitscher und Geschnatter von Enten, die zum
Teil schon mit ihren Jungen auf dem Wasser schwimmen, doch einige sitzen
auf dem Rücken der Mutter und lassen sich spazieren tragen.
Inzwischen
ist es hell geworden. Es ist ein Erlebnis des Sommeranfangs, wenn man
den roten Ball aus dem Wasser emporsteigen sieht. Es ist dann absolute
Stille und danach um diese Jahreszeit Singen und Jubilieren der Vögel.
Auch die Kuckucks überschlagen sich in ihrem Ruf. Unbeweglich steht der
Schwimmer der Angel. Die Angelei ist heute scheinbar nur eine
symbolische Handlung. Am Ende des Rohres will er sein "Petri
Heil" noch einmal versuchen. Hier sieht er irgendwie abschreckende
Gestalten. Lange Spinnenbeine, walzenförmige Körper, Gesichter wie
Gasmasken, es sind gelblich graue Libellen und verpuppte Libellenlarven
in allen Stadien des Ausschlüpfens. Schön ist sie ja, die Libelle, in
ihren bunten Farben, den glitzernden Flügeln und dem sausenden Flug.
Wasserrosen
und Libellen am Haussee - von G. Templin
Die noch nicht flugfähigen Libellen sind ein ausgezeichneter Köder
für die Angel. Das waren die "Glaser", mit denen der alte
Angler solchen Erfolg auf die "Rotaugen" gehabt hatte. Endlich
scheint er das Richtige gefunden zu haben, denn kaum ist der Wurm unten
angekommen und der Schwimmer hat sich aufgerichtet, da verschwindet er
schon mit einem Ruck ganz in der Tiefe. Es ist schon ein Kampf nötig,
um den knapp einpfündigen Barsch heraus zu holen, denn diese prachtvoll
harten Fische wehren sich schon in diesem Format wie ein großer. Mehr
war heute auch im Tiefen nicht los. Er fährt nun auf die andere Seite
des Sees, um einen Blick in die verschwiegene Bucht, wo die Ossa in den
See fließt, zu werfen.
Eine Koppel noch nicht flügger
Stockenten schwimmt geduckt durch die gelben Mummeln in die sichere
Deckung und eine alte Tafelente mit ihrer Brut versucht tauchend ins
freie Wasser zu kommen. Immer ist hier Leben und obwohl ihm eigentlich
diese Störung der sonntäglichen Morgenidylle leid tut, freut er sich
doch an der Vielfalt und wie all dieses verschiedenartige Wassergetier,
jedes auf seine Weise, sich geschickt der Gefahr zu entziehen sucht.
Jetzt
lockt auch der sonntägliche Frühstückstisch und es wird Zeit
für die Heimfahrt. Die Sonne meint es gut, es wird schon richtig
warm beim Rudern. Ein glitzernder Vogel kommt angeschwirrt und setzt
sich auf einen Ast. Es ist ein Eisvogel, er ist von vorne leuchtend rot.
Als das Boot des Grafen näher kommt, stürzt er mit einem Schrei ins
Wasser und ist wieder wie ein türkisfarbener Blitz. Gerne hätte er ihn
noch weiter beobachtet, denn er ist ein großer Fischjäger, wie der
Reiher. Aber als Entschädigung sieht er auf der großen Pappel einen
Fischadler sitzen, der dort sein Gefieder trocknet. Sein weißer Kopf
und die Brust leuchten in der Sonne. Es ist ein schöner Anblick, wenn
er über dem Wasser schwebt und rüttelt, um plötzlich wie ein Stein ins
Wasser herabzustoßen und verschwunden bleibt, um schließlich, wenn man
schon meint, er sei ertrunken, sich mühsam mit einem schweren Fisch in
den Fängen hochzuarbeiten.
Jetzt kommt der schönste Moment des
Morgens: Jetzt sieht er am Ende die von alten Bäumen umgebene alte
geliebte Ordensburg, nicht, wie im ersten Morgendämmern schwarz und
drohend, wie ein gespenstisches Felsgebilde, sondern im Karminrot der
alten Backsteine warm leuchtend und wirklich wie ein versunkenes
Märchenschloss. Je näher er kommt, desto deutlicher sind die
Einzelheiten zu erkennen: die gewaltigen Türme, die schön
geschwungenen, grau verputzten Barockgiebel, die eine spätere Zeit der
alten Ritterburg eingefügt hat. Arm war der Morgen an Anglerglück und
mager die Anglerbeute, aber reich die Beute an Erschautem und Erlebtem.
Schloss Schönberg mit Haussee - von G. Templin
Es
gab noch einen Bericht über eine letzte Angelfahrt in den Novembertagen
des Jahres 1944 auf dem Haussee bei Schönberg. Wenn mein Lehrmeister in
der Gaststätte saß und bereits einige Biere und Schnäpse
getrunken hatte, erzählte er seine Erlebnisse über die Angelei, damit
sie der Nachwelt erhalten bleiben. So berichtete er von seiner letzten
Angelfahrt im Herbst des Jahres 1944 auf dem Haussee bei Schönberg.
"Oft
habe ich mit meinem Angelfreund, Lehrschmiedemeister Otto Wegner, im
Boot auf dem Haussee gesessen und Hechte geangelt. Im November 1944 habe
ich alleine auf dem Haussee geangelt, denn mein Freund Wegner konnte den
vereinbarten Tag nicht einhalten. Ein starker Novembersturm fegte mein
Boot immer wieder ins Schilf. Dauernd hat sich die Angelschnur
verheddert. Ich wollte schon aufgeben. Wieder saß die Angelschnur fest.
Ich zog sie an und unerwartet erblickte ich einen großen
Hechtkopf an der Angel. Ein kurzer Anhieb und langsam zog ich die
Angelschnur ein und hielt sie straff. Aber immer wieder jagte der Sturm
das Boot in das Schilf. Eine gute Viertelstunde kämpfte ich mit dem
Hecht, bis ich ihn ins Boot ziehen konnte. Ein kurzer Hieb auf den Kopf
und der Hecht war tot. Erst jetzt fingen mir die Knie an zu wackeln. Ich
musste mich erst eine Weile hinsetzen, um ruhig zu werden. Der Hecht wog
9 Pfund, es war der größte Hecht, den ich auf dem Haussee geangelt
habe. Hinzu kamen noch einige kleine Hechte, zusammen 16 Pfund.
Wahrscheinlich hat der See gewusst, dass ich zum letzten Mal auf dem
Haussee war und mir diese Freude geben wollte".
Text und Bilder:
Gerhard Templin
Copyright 07.09.2006 Gerhard Templin |