Unser schöner Heimatkreis Rosenberg

von Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleis
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Ich glaube, es gab keinen schöneren Kreis im ganzen großen Deutschland, als unseren Heimatkreis Rosenberg in Westpreußen. Oder irre ich mich, weil die Erinnerung und die Sehnsucht alles vergolden, auch wenn der Rückblick getrübt ist und bleibt? Trotzdem will ich versuchen, zu schildern, was dieser Kreis an Schönem bot. Die Geschichte des Kreises werde ich zu einem späteren Zeitpunkt bringen.

Da ist zunächst das Land, dieser geliebte Boden, der leicht gewellt ist, vom dürren Sand der Kiefernschonungen bis zum fetten Lehm und dem schwarzen Moorboden der Niederungen. Entstanden ist dieses Land aus den Randmoränenzügen, in denen fruchtbarer Geschiebemergel abgelagert ist. Sie eignen sich daher gut für den Ackerbau. In den tiefen Stellen liegen Seen, die im Gegensatz zu den Rinnenseen breit und flach sind, wie der Karraschsee oder der nördliche Teil des insgesamt 34 km langen Geserichsees. Wenn man von Deutsch Eylau in Richtung Riesenburg geht, führt der Weg wechselnd über die sandigen, mit Wald bestandenen Höhen der Randmoränenzüge und durch die flachen, von Feldern eingenommenen Gebiete der Grundmoränen.

Da sind die Wälder, jene weiten und kräftigen Lungen des Landes, im Süden der Raudnitzer Wald, daran anschließend die Schönberger Forst, der Januschauer- und Finckensteiner Wald, zusammen mit dem Schwalgendorfer und Alt-Christburger Wald ein Komplex von über hunderttausend Morgen. Da sind im Westen und Süden die Forsten von Bellschwitz, Limbsee und endlich der große Preußenwald, das Ehrengeschenk für den Feldmarschall von Hindenburg. Wer diese Wälder erforschen wollte, konnte ein Leben in Schönheit und Ruhe verbringen. Er begegnete den schlanken, steil gewachsenen Kiefern, die wie Fackeln in der Sonne leuchteten und unter derem Schutz jener seltsam süße Duft des warmen Sandbodens mit seiner lila Thymiandecke lag. Er konnte unter Buchen Schutz finde, die wie alle Mütter ihre Kinder beschirmten, und er sah Eichen, die schon standen, als der Große Kurfürst über Preußen herrschte.

Überall aber blinzelten zwischen den Bäumen über 60 Seen von dem großen, klaren Geserichsee, dem Freund der Eylauer, mit seiner Liebesinsel und den schönen Anlagen, bis zu den verlandeten Flachseen, an deren Ufern die letzten Vertreter aussterbender Vogelrassen brüteten. Wo gibt es denn solch ein unberührtes Vorfeld der Geschichte, wie den Karraschsee mit seinem kilometerlangen Schilfgürtel und Armleuchtergewächsen, durch den nur schmale Schneisen wie Kanäle hindurchführten? Unvergesslich die Herbstmorgen auf diesem See, wenn die Sonne langsam und majestätisch auf ihren Nebelthron stieg, wenn Kraniche zu trompeten anfingen und auf dies Signal tausende und abertausende von Wildenten von den Feldern aufstiegen und mit klingendem und pfeifenden Flügelschlag auf den Bänken einfielen! Unbeschreiblich die Abende an den stillen Waldseen, über die der Brunftschrei der Hirsche aus dem Dunkel herübertönte.

Die Entwässerung der vielen Seen geschieht durch die Ossa, Liebe und Eylenz. Die Ossa entspringt in dem Parkuhnsee südöstliche  von Zollnick, geht durch den Ossa-, Garden- und Haussee, erhält durch verschiedene Zuflüsse auch das Wasser des Silmsees, des Karraschsees und einer Reihe anderer Seen und mündet bei Graudenz in die Weichsel.

Nur 5 km von der Ossaquelle entfernt liegt die Quelle der Liebe, die ihren Namen erst nach Verlassen des Januschauer Sees führt. Sie nimmt die Abflüsse einiger anderer Seen auf, durchfließt den Sorgensee und den Schlosssee und mündet bei Weißenberg in die Nogat.

Den Abfluss des Geserichsees bildet die Eylenz, die ihn nördlich von Deutsch Eylau verlässt. Sie nimmt das Wasser des Labenzsees auf, durchfließt den Eylenz- und Daulensee, und mündet nach kurzem Lauf in die Drewenz, die ihr Wasser der Weichsel zuführt.




Deutsch Eylau - Kleiner Geserichsee (G. Templin)

Und wo gibt es solche Schmuckstücke von Städten, solche Schatztruhen für den Ertrag der Landarbeit, gekrönt von dem Zeichen geschichtlicher Baukunst? Deutsch Eylau am Geserichsee, mit seiner alten Ordenskirche, Rosenberg mit seinem verschwiegenen Schlösschen, Riesenburg die alte Bischofsstadt, Freystadt, an den Berg geschmiegt, Bischofswerder, von den Grenzen Versailles grausam zerschnitten.




Rosenberger Hof - Wohnung der Landräte (G. Templin)




Riesenburg mit Wrangelplatz und Wasserturm (Sammlung v. C. Mühleisen)

Wenn man die gepflegten Chausseen mit ihren alten Linden-Alleen, die an die Napoleonischen Heerzüge mahnten, entlangfuhr, boten die Städte schon von weitem dem Auge ein lockendes Ziel, ihre Kirchtürme winkten einander zu, sie erzählten sich Geschichten aus der Zeit, in der dies Land ein Teil des einzigen Bereiches war, das dem Kaiser des deutschen Reiches frei von landesherrlichen Einschränkungen unterstand und vom deutschen Ritterorden mustergültig regiert wurde. Sie rundeten aber auch das Bild der Landschaft zu jener traulichen Geschlossenheit ab, die kennzeichnend für unsere Heimat war.



Freystadt mit Stadtsee (G.Templin)

Es war eine vergnügte Gegend, mit flinken Pferden und Menschen mit raschen Gedanken, die durchaus nichts von dem Sturen, Schwerfälligen an sich hatten, das man dem Osten andichtet. Wer es nicht glaubt, sollte nur einmal einen Abend bei Meding in Eylau oder Jablonski in Rosenberg oder meinetwegen in irgendeiner Gastwirtschaft in den großen Bauerndörfern erlebt haben, wenn die Sitzung des Vereins vorüber war und die Gemütlichkeit begonnen hatte.

Richtig, von den Dörfern habe ich noch gar nicht gesprochen, und dabei waren gerade die großen Bauerndörfer neben den Gütern bestimmend für unseren Heimatkreis. Dort saßen die bekannten Vieh- und Pferdezüchter, dort war der Sitz der Reitervereine und überhaupt eines in dem gegebenen Rahmen großzügigen Daseins, wie es nur Bauern kennen, die sich auf ihren Höfen als kleine Könige fühlen. Selbst hinter dem See, dort wo der Kreis Rosenberg nur noch ein schmaler Streifen bildete, der allein durch die Straße Eylau-Saalfeld mit der Umwelt in Verbindung stand und der vor allem bahntechnisch sehr weit aus der Welt lag, gab es dieses Eigenleben, das zu leben sich lohnte.




Das Dorf Gulbien mit dem Gasthaus zur Eintracht 1913 (Sammlung C. Mühleisen)

Im Jahre 1939 hatte der Kreis eine Gesamtgröße von 104.000 ha. Früher war es der Kreis des Grundbesitzes, doch hatte er seit der Jahrhundertwende durch zahlreiche Aufsiedelungen einen stark bäuerlichen Einschlag bekommen. In den Großbetrieben wurde in den letzten Jahren mehr und mehr mit Traktoren gearbeitet, die Viehhaltung wurde aber nicht vernachlässigt. So waren 10.540 Pferde einschließlich Fohlen vorhanden. Kühe einschließlich der Kälber und Jungtiere gab es 52.400 Tiere. Bei Schweinen wurden auf 25.000 ha Großgrundbesitz 20.000 Mastschweine und auf 44.000 ha bäuerlichen Betrieben 63.360 Mastschweine erzeugt.

Die Schafzucht wurde auf den Gütern noch sehr gepflegt. Es gab Stammherden von 200 bis 1.500 Muttertieren. Finckenstein, Schönberg, Januschau, Gr. Bellschwitz, Faulen, Groß Plauth, Klein Tromnau und Peterwitz hatten solch große Herden. Gezüchtet wurde das Merino-Wollschaf. Es war sehr fruchtbar und lieferte eine vorzügliche Wolle, die sich durch Feinheit und Länge auszeichnete.

Bei uns im Osten gab es kurze, heiße Sommer, dadurch 150 bis 155 Feldarbeitstage im Jahr, das bedeutete viel Angespann und Arbeitskräfte für den kurzen Sommer. Der Westen dagegen hat eine längere Vegetationszeit mit 210 bis 240 Feldarbeitstagen. Der Landwirt hier hat mehr Zeit und braucht weniger Arbeitskräfte. Er hat aber höhere Niederschläge, seltener Dürreschäden und erzielt durch die Marktnähe höhere Preise.



Getreideernte auf den Gütern (G. Templin)

Von den Schlössern will ich gar nicht erst reden. Die schönsten stehen nicht mehr. Sie gingen mit den schmucken Städten zugrunde, meist mutwillig zerstört, als schämten sich die Eroberer einer Kultur, die sie nicht geprägt hatten. Außerdem gibt es überall, wo deutsche Kulturträger hingekommen sind, ähnliche Bauwerke, die von dem Schönheitsbedürfnis der deutschen Seele sprechen.




Schloss Schönberg 1386 - Ostseite (G. Templin)




Ordensburg Schönberg um 1400 (G. Templin)




Schloss Finckenstein um 1900 (Sammlung C. Mühleisen)

Vielleicht gibt es auch andere Kreise, die unserem Heimatkreis in nichts nachstehen, und vielleicht denkt jeder Heimatvertriebene, sein Kreis sei ein kleiner Garten Gottes gewesen. Warum nicht? Die Liebe vergleicht nicht, sie braucht nicht gerecht zu sein, sie hat andere Aufgaben. Die Liebe, auch die Liebe zur Heimat, ist die Kraft, die das Leben schenkt. Das wissen wir Heimatvertriebene am besten, denn wir zehren auch heute von dieser Kraft.

Quellennachweis: Jahrbücher des Kreises Rosenberg

Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.