Heimatkunde "mangelhaft"

Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleisen

Es soll nicht heißen, dass alle Leser in der Schule in Heimatkunde "mangelhaft" hatten. Ich will über die Vorgeschichte unseres Heimatkreises kurz berichten. Vielleicht werden dann wieder Erinnerungen aus der Schulzeit wach.

Der Kreis Rosenberg erhielt seine landschaftliche Prägung durch die Eiszeit, in der die Höhenzüge entstanden, zwischen denen sich die Schmelzwasser in Seen ansammelten. Mit dem wärmer werdenden Klima begann der Wald auf den kiesigen und sandigen Böden aufzuschießen, während sich in den Senken Moore bildeten und auf ausgedehnten, fruchtbaren Stellen Wiesen entstanden. Wir müssen uns die ehemalige Waldbedeckung unseres Kreises dicht und zusammenhängend denken. Der Wald war aber für die primitiven Menschen ein Feind, den er mit seinen einfachen Werkzeugen nicht bezwingen konnte. Auch schwerer Boden war für ihn eine Hemmung. Der Mensch der Urzeit suchte sich für seine Wohnung Lichtungen mit leichten, sandigen Böden; er brauchte Gewässer, um darin zu fischen. Außerdem musste er auf Höhen wohnen, um vor Überschwemmungen sicher zu sein. Solche für die Besiedlung günstigen Gebiete waren bei uns nicht allzu häufig. Die Seen waren größtenteils von Wald umgeben. Die Flüsse Ossa, Liebe und Gardenga flossen in versumpften Tälern.

Daher durfte die Besiedelung auch spärlich gewesen sein. Wir erhalten von ihr die Kunde durch Funde. Gräber, Urnen und Handwerkszeug, deren Beschaffenheit auf die sogenannte jüngere Steinzeit deuten, die zwischen 4000 und 2000 v. Chr. anzusetzen ist. Leider handelt es sich zumeist um Einzelstücke, was vielleicht auch daran lag, dass der Kreis noch nicht planmäßig durchforscht ist. Bei Riesenburg fand man in der Nähe der Zuckerfabrik am Ufer des Sorgensees zwei Skelettgräber mit steinzeitlicher Axt. Es ist ein Stein, der sorgfältig geglättet ist und etwa Walzform hat. Er ist 10 cm lang und in der Mitte durchbohrt, damit ein Stiel befestigt werden konnte.

(Anmerkung: Mein Großvater fand beim Pflügen auf seinen Feldern im Kreis Mohrungen sehr oft Gegenstände, die aus Stein gefertigt waren, wie Hammer, Äxte usw., die immer durchbohrt waren und auch Einkerbungen zur Befestigung der Hanfschnüre hatten.)

Hügelgräber wurden bei Kl. Babenz gefunden und geöffnet, die u. a. Bernsteinschmuck enthielten. Einzelfunde wurden gemacht in Adolshof, Bischofswerder, Bornitz, Brausen, Falkenau, Finckenstein, Freiwalde, Freystadt, Friedrichsburg, Gr. Bellschwitz, Gr. Herzogswalde, Guhringen, Jakubau, Peterkau, Riesenburg, Rosenberg und Waldhof. Dort müssen also in jener grauen Vorzeit Menschen gelebt haben, die mit den denkbar einfachsten Hilfsmitteln ihr Leben fristeten. Vielleicht werden beim Drainieren oder Torfstechen noch andere Funde gemacht. Wir könnten nicht erwarten, soviel Zeugen jener Zeit zu finden, wie etwa bei den Höhenzügen an der Weichsel. Wir wissen aber, dass in der damaligen Zeit der Mensch als Haustier Pferd, Rind, Hund und auch Tauben besaß. Er jagte den Bär, Elch und Hirsch, Wildschwein, Fuchs und Hasen. Mit den Feuersteinwerkzeugen bearbeitete er Knochen und Geweih zu Dolchen, Nadeln und auch Angelhaken und fertigte Waffen. Er bohrte sogar mit Röhrenknochen und Sand Löcher für Stiele und Handgriffe. Von den erlegten Tieren aß der Mensch Fleisch und Mark, kleidete sich in Felle und schmückte sich mit Halsbändern aus Tierzähnen und Bernsteinperlen. Seine Asche setzte er in Urnen bei.



Steinzeitmensch

Auf die Steinzeit folgte die Bronzezeit (etwa 2000 bis 500 v. Chr.), aus der die Funde noch spärlicher sind. Durch den Handel und Verkehr mit den Nachbarländern erhielten die Bewohner Geräte und Waffen aus Bronze. Als Tauschmittel hatten sie den begehrten Bernstein. Einen interessanten Fund machte man in Gulbien, der aus einem runden Halsring, einem achtkantigen Halsring und einer Nadel mit Spiralkopf bestand. Aus der Anlage der Werkzeuge und Münzen kann man durch Vergleich mit den Funden der umliegenden Gebiete schließen, zu welchen Stämmen die damalige Bevölkerung unseres Gebietes gehörte.



Tongefäß - Silmsee (G. Templin)




Gesichtsvase aus der Bronzezeit  (G. Templin)




Schöpfkelle aus der Bronzezeit (G. Templin)




Urne aus der Eisenzeit (G. Templin)

In der Steinzeit müssen die Germanen gewohnt haben, die aus dem, Westen eingewandert waren. In der Bronzezeit haben hier Goten und Gepiden gewohnt. In den Stürmen der Völkerwanderung zogen diese nach Süden und in den leeren Raum drangen nichtgermanische Stämme ein. In unserem Kreis siedelten die Pruzzen und zwar aus dem Stamm der Pomesanier. Auch dieser Name deutet auf die starke Waldbedeckung hin, denn das preußische "pro median" heißt "im Walde gelegen". Sie wohnten etwa in den damaligen Kreisen Stuhm, Marienwerder und Rosenberg. In unserem Kreis war ihr Gebiet in mehrere Landschaften und Gaue geteilt. Am häufigsten erwähnten alte Urkunden den Gau Resia um Riesenburg, das damals Resinburg hieß (entsprechend Resinkirchen aus dem dann Riesenkirch wurde), der Gau Prezla oder Preßel in der Mitte des Kreises bis zum Geserichsee und den Gau Raudez oder Rudenz, dessen Name heute in Raudnitz anklingt.

Die Pruzzen kannten kein festes Staatsgebilde, hatten jedoch eine durch Sitte geheiligte Ordnung, die sich auf die Familie und Sippe aufbaute. Der Adel und die Freien, die zu ihm im Lehnsverhältnis standen, freie Bauern und Handwerker (Schmiede, Töpfer, Weber, Gerber), Knechte und Sklaven waren die Stände. Sie wohnten in Einzelsiedlungen und Dörfern, Städte kannte man nicht. Der Adel lebte auf burgähnlichen Anlagen. Auf gesicherten Stellen an Seen oder Flüssen wurden längliche oder runde Hügel aufgeschüttet, die von steilwandigen Wällen überragt wurden. Im Innern lag das aus Holz erbaute Herrenhaus. Doch fanden in Kriegszeiten auch die Umwohner innerhalb der Wälle Schutz; daher nennt man noch heute solche Anlagen Fliehburgen.



Prußische Fliehburg (Rekonstruktion)

Durch zugespitzte Pfähle, die auf den Wällen eingerammt waren und durch eine gut bewaffnete Besatzung waren sie zur Verteidigung eingerichtet und haben dem Ordensheer mitunter große Schwierigkeiten gemacht. Bekannt sind die Kämpfe um die Burgen bei Riesenburg und Riesenkirch und an der unteren Ossa. Insgesamt kann man im Kreis Rosenberg 14 Wallburgen aufweisen. Von diesen liegen mehrere auf Inseln, so der Scholtenberg auf der Insel Gr. Werder im Geserichsee.

Auch der Burgwall auf dem Bukowitzwerder im nördlichen Teil des Geserichsees gehört zu der Gruppe der Burganlagen. Andere sind auf Halbinseln wie der Burgwall des Sees zwischen Gulbien und Mosgau, der Wall bei Windeck am Labenzsee, der Kesselberg bei Kl. Steinersdorf am Silmsee.



Der Kesselberg am Silmsee - Lageplan der Fliehburg (G. Templin)

Spätere Jahrhunderte haben die Entstehung dieser Wälle vielfach in die Schwedenzeit verlegt und sie daher Schwedenschanze genannt. Auf der Kreiskarte des Kreises Rosenberg heißt der Wall bei Stangenwalde "Schanze", der bei Gulbien "Alte Schanze". Lagen die Wälle auf einer Insel, so waren Holzbrücken zur Verbindung mit dem Festland notwendig. Reste einer solchen fanden sich im früheren Krobennestsee bei Kl. Ludwigsdorf. Vielleicht lässt sich auch so die "Faule Brücke" zwischen dem Großen Werder und Fichtenort im Geserichsee deuten. Die pruzzische Burg von Rosenberg muss dem Ritterorden besonders bedeutend gewesen sein, denn er baute sie nach der Eroberung für sich selbst aus.



Befestigungswälle einer altpreußischen Fliehburg im Park des Landratsamtes von Rosenberg

Irgendwelche Aufzeichnungen, aus denen Genaueres über die Lage und Art der übrigen preußischen Siedlungen hervorgeht, gibt es nicht. Die preußische Sprache hat sich nicht zur Schriftsprache entwickelt. Als zunächst die Polen und dann der Deutsche Ritterorden ins Land kamen, wurden zwar von diesen Aufzeichnungen über Land und Leute gemacht, aber sie sind mit den Augen des Eroberers gesehen und geben daher kein einwandfreies Bild. Der Deutsche Ritterorden hatte die Aufgabe, die Prussenstämme zu christianisieren, was aber teilweise mit dem Schwert erzwungen wurde. Dabei wurden sehr viele Kulturgüter der alten Prussen vernichtet.

Trotzdem haben sich einige Orts- und Flurnamen nach preußischer Bezeichnung erhalten. Der Dorfname Gunthen (Gunthyn) ist von dem Namen seines Besitzers, des Preußen Guntho herzuleiten, ebenso Klötzen von dem Preußen Cletz, Gr. Jauth war das preußische Dorf Jautin, Gr. Tromnau hieß Trumpnia, Guhringen Goryn, Wilkau Wilkow, Bauthen Buthowe.

Im 11. und 12. Jahrhundert war unser Kreis der Schauplatz wilder Kämpfe zwischen Polen und Prussen. Sie wiederholten sich dauernd, so dass Konrad von Masowien den Deutschen Ritterorden in das Land rief. Zäh und erbittert kämpfte das Prussenvolk gegen seine Feinde. Aber dem planvollen Vorgehen der kampferprobten Deutschen waren die kulturell tief stehenden Prussen nicht gewachsen. Im Jahre 1248 kam es endlich zum Friedensschluss zwischen dem Orden einerseits und den Pomesaniern andererseits. Freilich konnte der Orden an eine Besiedlung des eroberten Landes zunächst noch nicht denken. Seine Hauptarbeit war, das Land vor den Einfällen der benachbarten Sudauer und den Aufständen der Prussen zu schützen.

Dieses war in groben Zügen die Vorzeit unseres Heimatkreises bis zum Erscheinen des Ritterordens. Hierzu möchte ich noch bemerken, dass die meisten Grabungen in Westpreußen im vorigen Jahrhundert in unserem Kreis Rosenberg durchgeführt wurden.


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.