Am Rande eines großen Treffens 2008 in der alten Heimat

von Gerhard Templin

Bearbeitung: C. Mühleisen

In diesem Aufsatz möchte ich nicht über die Organisation oder Ausführung dieses Treffens in der alten Heimat Deutsch Eylau sprechen oder sogar diskutieren.

Einige Freunde und ich, wir hatten unseren eigenen Plan, wie wir die alte Heimat noch einmal erleben wollten, ohne Rücksicht auf das Wetter und Ausflüge in die Provinz, die wir schon öfter erleben durften. Wir wollten echte Heimat erleben, wo unsere Wiege stand, wo der Geserichsee seine Wellen gegen den Strand schlägt und der Wald wie ein Dom über uns steht. Unser Freund Erich Noweck war mit seinem VW-Bus angereist und so machten wir zuerst eine Fahrt rund um den "Großen Geserichsee", der ca. 32 km lang ist. Dort, wo der Oberländische Kanal am Kragenwinkel beginnt, atmeten wir zum ersten Mal die Geserichluft ein. Vorbei ging die Fahrt an Saalfeld mit dem Ewingsee, der eine Verbindung aus der Ordenszeit mit dem Geserichsee hat.

Hier haben wir noch die alten Dörfer mit den vielen Storchennestern. Gegen Mittag waren wir in Schwalgendorf, wo unser Hunger mit einem guten Fischgericht gestillt wurde. Dieses Fischlokal kann man allen Freunden empfehlen. Nur nicht die sogenannten Toiletten, die draußen sind und keine verschließbaren Türen haben. Unsere Fahrt geht weiter über Rosenberg, Faulen nach Louisendorf, wo früher der Großvater von Erich Noweck wohnte. Ein Obstbaum steht wie ein Denkmal auf einem freien Platz. Wir machen noch einen Abstecher nach Neudeck, wo einst Hindenburg lebte und starb. Nun geht es zurück über Stradem, Winkelsdorf nach Kl. Radem, wo wir anschließend über den Gajerreck (Westpreussensiedlung) fahren. Hier wohnten die Nowecks. Wir sind erstaunt, wie gut noch die Dächer der Häuser aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts sind. Aber wir wollen das herrliche Wetter noch ausnutzen und werden zu einer Fahrt auf dem Geserichsee von unserem Freund Otto Leymann eingeladen. Wir besteigen sein großes Motorboot. 7 Personen sind wir hier. Der Himmel ist fast wolkenlos. Nur einige Federwolken sehe ich. Es ist ein Zeichen, dass wir eine Wetteränderung bekommen. Wir fahren links um die Insel Großes Werder mit dem Scholtenberg.



Erich Noweck mit Schwesterchen Hannelore im Motorboot

Ich erzähle nun etwas über den See, weil ich ihn wie meine Westentasche kenne. Bin öfter mit meinem Opa zum Angeln gefahren. Wir fahren an der Schlangeninsel und dem Seeteil "die Motten" vorbei und passieren dann die "Faule Brücke", die vor 200 Jahren die alte Heerstraße für Napoleons Truppen auf seinem Feldzug nach Russland in Richtung Saalfeld aufnahm. Hier gibt es noch etliche Pfähle unter der Wasseroberfläche, die schon oft einigen Kanufahrern zum Verhängnis wurden. Bis vor einigen Jahren war an dieser linken äußersten Spitze noch ein großes Seeadlernest.

Wir fahren jetzt an Schönhof vorbei in Richtung Schalkendorf. Überall stehen hier wunderschöne Häuschen und an den Ufern große Segelboote. Die Besitzer kommen zum Teil aus Warschau, Krakau, Danzig und anderen Großstädten. Sie haben hier ein "zweites Zuhause". Wie kommt es, dass wir so wenig Vögel sehen? Einmal ist es Nachmittag, die Raubvögel jagen meistens morgens. Außerdem haben wir Mitte August und dann sind die meisten Vögel in der Mauser. Nur einige Kleinvögel, Möwen und einige Entenarten sind es nicht. Kurz vor Lannoch hält unser Kapitän auf der Mitte der Breite. Ich ernenne Erich Noweck vom Gajerreck zum Ehrenkommandant des Geserichsees und übergebe ihm das gestickte Ehrenzeichen des Geserichsee-Clubs von 1968. Mit einem kleinen Wodka wird dieses Ereignis begossen. 

Wir fahren nun auf der anderen Seite (Waldseite) zurück. Alle vorbeifahrenden Segler grüßen freundlich. Der Wind kommt jetzt von vorn und die Wellen werden stärker. Es ist eine herrliche Fahrt. Vorbei geht es an der ehemaligen Försterei Lannoch, heute Erholungsheim für das polnische Fernsehen. Die Liebesinsel ist ganz bewaldet. Einst stand hier eine Schutzhütte für Angler und Wasserfahrer. Bei schlechtem Wetter kann der See sehr gefährlich werden. Wir fahren am "Malerwinkel" und "Fichtenort" vorbei und kommen an die Insel Gr. Werder mit dem Scholtenberg und halten in der Richtung, wo einstmals die Gaststätte war. Otto hält kurz auf dem Wasser an und ich erzähle, dass hier vor der Gaststätte beim Einmarsch der Russen etliche Bewohner und Soldaten, die sich hier versteckt haben, erschossen wurden. Auf meiner Mundharmonika spiele ich das Lied "Ich hatt' einen Kameraden." Auch dieses ist Heimattreffen im weitesten Sinne.

Wir fahren durch die Brücke zum Kl. Geserichsee. Auf dem Gelände vom Sägewerk Schlobach hat man eine Gaststätte gebaut. Ein Hotel ist in Bau. Es wird bestimmt eine Konkurrenz für das Hotel Kormoran.



Die neue Gaststätte am Kl. Geserichsee (Sägewerk Schlobach)

Wir machen eine Runde um den kleinen See mit dem schönen Springbrunnen. Dann geht es wieder durch die Brücke zu Ottos Anlegesteg. Es war eine herrliche Fahrt.

Am Abend sitzen wir auf der Terrasse und diskutieren über den Tag. Am nächsten Tag wollen wir Hansdorf und die Emil von Behringschule besuchen. Leider ist an diesem Tag in Polen Feiertag und das Gebäude ist geschlossen. Da ich am ersten Tag unserer Reise dort war, habe ich vom Vorraum des kleinen Museums eine Aufnahme gemacht. Man muss Emil von Behring immer erwähnen, denn er war der Entdecker des Serums für Diphtherie und Tetanus und er war der erste Nobelpreisträger für Medizin im Jahr 1901.



Emil von Behring Schule in Hansdorf




Mittelansicht des Rathauses von Dt. Eylau




Die humorvollen Freunde im Fischlokal

Nach eingehender Besichtigung der Stadt  Dt. Eylau essen wir in der Gaststätte Geserichsee-Zander. Anschließend besuchen wir die Ordenskirche. Der Neffe unseres Organisten Erich Noweck ist mein Begleiter. Er wird am nächsten Tag als Pfarrer den Gottesdienst in der Ordenskirche leiten. Der Zufall will es, dass ich mit seinem Vater in einer Klasse zur Schule ging. Er hieß auch Gerhard, wie ich. Unsere Freundschaft wurde am Abend immer fester. Es war unser Grillabend, der Abend wurde durch das Jugendblasorchester der Bauschule und der Tanzgruppe untermalt. Der Grillabend wurde sonst immer am See veranstaltet. Da aber Regen angesagt war, fand die Veranstaltung im Saal des Kormoran statt. Es war sehr eng, aber ganz gemütlich. Am Sonnabend war nun das offizielle Heimattreffen des Kreises Rosenberg. Es wurde in der Ordenskirche mit einem gemeinsamen Gottesdienst eröffnet. Der poln. Pfarrer, der sprechen sollte, war erkrankt und so hielt unser Heimatfreund Hans Jürgen Noweck, ein Jugendpfarrer, die Rede. Ein junger poln. Pfarrer gegrüßte uns und der berühmte Chor Camarata und Erich Noweck mit seinen Chorälen auf der Orgel umrahmten die Feierstunde.



Erich Noweck beim Orgelspiel




Erich Noweck mit der Dirigentin des Chors 2  Camerata

Still ist es im vollen Gotteshaus. An den Wänden hängen viele Heiligenbilder, die für uns sehr fremd sind, aber der Altar ist noch von früher. Neben der Kanzel links steht noch das alte Taufbecken aus der Ordenszeit, in dem die meisten der hier anwesenden Heimatfreunde getauft worden sind.




Unser Pfarrer Hans Jürgen Noweck bei der Predigt. Links unten das Taufbecken.

Nun spricht unser Heimatfreund Hans Jürgen Noweck. Es ist keine Rede. Es ist für uns ein himmlisches Geschenk. Er spricht ohne Konzept frei und offen. Hier einige Auszüge seiner Rede. Sein Predigttext ist aus dem Johannes 3, Vers 16.

"So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben."

Es ist ein bewegender Moment, in dieser eindrucksvollen Ordenskirche von Deutsch Eylau einen Gottesdienst zu feiern. Wir Menschen werden mehr oder weniger von den drei Grundfragen des Lebens getrieben, die uns bewegen und auf die wir zufrieden stellende Antworten bekommen möchten:

1. Woher komme ich ?
2. Wozu lebe ich ?
3. Wohin gehe ich ?

Zu 1: Wir sind an diesem Ort zusammengekommen, um nach unseren Wurzeln zu suchen, das zu finden, was uns verbindet. So kommen viele von ihnen schon seit Jahren zu den Heimattreffen an diesen schönen Ort, andere - wie ich, sind zum ersten Mal dabei.

Zu 2: In Krisenzeiten bricht die Sinnfrage in uns auf: Wozu lebe ich? Dies geschah besonders deutlich nach dem Zugunglück in Radevormwald, als 1971 am Ende einer Klassenfahrt fast zwei komplette Klassen mit jungen Schülern starben. Verzweifelte Eltern haben auf den Grabsteinen in Bildern und Symbolen versucht, dem Leben ihrer Kinder einen Lebenssinn zuzuschreiben.

Was würde auf unserem Grabstein als Lebenssinn stehen ?

Zu 3: Auf einem Grabstein sind zwei Hände zu sehen, in denen steht: "Aus Gottes Hand in Gottes Hand." Eine Antwort, die versucht, verzweifelten Eltern Trost zu spenden. Auch für unser Leben gilt, dass wir es aus Gottes Hand empfangen haben. Unser Gott möchte, dass wir ihm im Alltag und am Sonntag Antwort geben, mit Lob- und Dankliedern, Gebeten, Bibellesen und in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Verantwortlich und nach bestem Gewissen mit Gott und den Menschen leben und umgehen, das ist ein guter christlicher Lebensstil. Das ist gelebter Glaube, der zum Ziel führt und an diesem Ziel wartet Jesus Christus auf uns!

Nach seiner eindrucksvollen Rede sprach Hans Jürgen Noweck das Fürbittegebet, das aus meinem Gedächtnis so lautete:

Herr, unser Gott, wir danken dir für unsere Heimat, dass wir hier unsere Wurzeln finden durften und für diesen schönen Gottesdienst.

Herr, wir bitten dich, sei du mit den Menschen hier an diesem Ort, stehe du ihnen bei, tröste sie und geleite sie unter deinen Segen.

Herr erbarme dich!

Herr, wir bitten dich für die Menschen in dieser Welt, die unter Krieg und Terror zu leiden haben. Lass' die Menschen zur Einsicht gelangen und führe du sie auf deinen Wegen.

Wir bitten dich: Herr erbarme dich!

Herr, wir bitten dich für die Menschen, die ihre Heimat verloren haben, die bedrängt und verfolgt werden. Herr, schenke du ihnen eine neue Heimat und führe sie auf sicheren Wegen zu dir.

Wir bitten dich: Herr erbarme dich!

Herr, wir bitten dich für die Alten und Kranken, die viel Leid, Schmerzen und Einsamkeit zu ertragen haben. Herr, lass sie deine Nähe erfahren und spüren, dass du bei ihnen bist.

Wir bitten dich: Herr, erbarme dich!



Ein Blick über die Kirchengemeinde - im Vordergrund der Heimatkreisvertreter Holger Knoblauch.

Stehende Beifallskundgebungen, die ich in einer Kirche noch nicht erlebt habe, waren der Dank für seine ergreifenden Ausführungen. Sogar der poln. Pfarrer klatschte mit. Mit dem Lied: "Geh aus mein Herz und suche Freud" wurde der Gottesdienst beendet. Der poln. Pfarrer, wahrscheinlich erfreut über die große Spende, die die Kirche erhielt, schloss die Krypta auf, die ich als junger Lehrling 1941 renoviert habe. Mit einem Dolmetscher erzählte ich meine damaligen Erlebnisse.

Um 14 Uhr trafen wir uns dann wieder im Hotel Kormoran zum Heimattreffen. Da wir ganz hinten saßen, bekamen wir von den Reden unseres Heimatkreisvertreters und vom Bürgermeister der heutigen Stadt Ilawa (früher Deutsch Eylau) nicht viel mit. Zur Unterhaltung spielten Otto Leymann und Erich Noweck auf dem Akkordeon. Mit viel Gesang und Humor feierten wir trotz eines starken Gewitters, das inzwischen über dem Geserichsee lag.

Leider mussten meine Freunde am Sonntag wieder zurück nach Deutschland. Der Beruf geht vor, schade.



Ein liebliches Bild in Richtung "Sägewerk Seifert"

Durch das Geschrei der Wasservögel, die auf dem Anlegesteg des Kormoran standen, wurde ich geweckt. Rot ging die Sonne über "Klein Zoppot" auf. Über dem Himmel und Wasser lag ein violetter Schleier. Etwas traurig die graublauen Wolken am Himmel. Durch den etwas stärkeren Wind, rauschten die Wellen gegen den Badestrand. In der Gaststätte ist schon alles aufgeräumt. Bei einem guten Frühstück, das wir wieder an unserem Tisch am Fenster einnehmen, unterhalten wir uns über die Erlebnisse der letzten Tage. Am nächsten Tag ist wieder blauer Himmel. Da ich noch einige Sachen zu erledigen habe, stellt sich Otto Leymann mit seinem Auto zur Verfügung. Hierbei lerne ich auch die Gaststätte "Eiskeller" kennen. Es dürfte der Eiskeller des früheren Bierverlages Lumpe sein.



Blick in die Gaststätte "Eiskeller"

Wir fahren in der Bahnhofstr. an unserer ehemaligen Wohnung vorbei. Ich sehe das Fenster, hinter dem ich nach der Schule immer saß und meine Schularbeiten machte. Wir fahren die Bahnhofstr. hoch. Kurz vor der Bahnhofsbrücke gibt es sogar "Kaufland" und an einer anderen Stelle "Lidl". Die Kaufhäuser sind alle sehr gepflegt und das Personal freundlich. Von meinem letzten polnischen Geld habe ich einige Sachen gekauft.

Zum letzen Abendbrotessen gibt es Fisch. Kerzen stehen auf allen dekorierten Tischen und Herr Bittermann verteilt Aale, die sehr gut geschmeckt haben. Nach dem Essen sind alle Mitfahrer schnell verschwunden. Sie gingen alle ihre Sachen packen, die ich bereits am Nachmittag gepackt habe.

Wehmütig nehme ich Abschied von der alten Heimat. Es war mein 31. Besuch und vielleicht auch mein Letzter. Dank allen Helfern und Freunden, die mir geholfen haben, die alte Heimat noch einmal zu erleben. Ein besonderer Dank gilt Herrn Pfarrer Hans Jürgen Noweck für seine eindrucksvolle Feier.


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.