Heitere Geschichten über Ost- und Westpreußen

von Gerhard Templin

Bearbeitung: C. Mühleisen

Mit Humor lassen sich Brücken schlagen von Mensch zu Mensch, Bindungen zu einer anderen Landschaft. Freunde erkennen uns West- und Ostpreußen sogleich an dem singenden Tonfall, an dem melodischen Auf und Ab unserer Sprache. Sie klingt wie die östliche Landschaft, hat jemand einmal gesagt. Wohl meinte er, in ihr wird die Landschaft lebendig: Das weite Land mit saftigen Wiesen, den wogenden Kornfeldern und den tiefen, endlosen Wäldern und Seen.

Typisch für die ost- und westpreußische Mundart ist auch der Gebrauch der Verkleinerungs- und Zärtlichkeitsform, das "che" bei Namen, Dingen und anderen Worten. Sie löst bei Fremden immer große Heiterkeit aus.

Welches Getränk ist nun bei Ostdeutschen an der Tagesordnung? Es ist der Bärenfang und der Grog. Fangen wir mit dem Grog an.

An einem heißen Sommertag sitzt der Kantor D. in der Bahnhofsgaststätte einer Stadt und trinkt Grog nach der langläufigen Vorschrift, Rum muss, Zucker kann, Wasser braucht nicht sein. Sein Freund kommt hinzu und sagt verwundert: "Was machst du denn da? Bei der Hitze einen Grog? Was willst du im Winter trinken?" "Na, Mensch, dann trinke ich eben viel Grog!", erwiderte der Gefragte.

Damit ist die Frage, wann bei uns Grog getrunken wurde, eindeutig geklärt. Man trank dieses aromatische Getränk zu jeder Jahreszeit: Im Winter, um sich zu wärmen, im Sommer, um Innen- und Außentemperatur in Einklang zu bringen, und im Frühjahr und Herbst als Schutz gegen Erkältungskrankheiten. "Geiger Grog" genehmigten sich nur trinkfeste Männer, denn hier wurde auf das Wasser ganz verzichtet. Die Rumflasche blieb auf dem Tisch stehen, um nachzufüllen.

Seit wann trank man bei uns Grog? Als der königlich prinzliche Domänen Kammerrat Ludwig Avenarius im Jahre 1829 seine Beiträge zur näheren Kenntnis der Provinz Preußen herausgab, schrieb er auch eine Charakteristik der ostpreußischen Menschen. "Man lässt auch in Preußen dem Magen sein Recht widerfahren, aber man kommt nicht zusammen, um bloß zu essen, sondern auch um zu trinken. Also bereits 1829 war der Grog bekannt. Es ist anzunehmen, dass ihn Seeleute oder Soldaten während der Napoleonischen Kriege nach Ostpreußen gebracht haben. Erfunden hat ihn im 18. Jahrhundert angeblich der englische Admiral Vernon, der wegen seiner groben Grogamstoff gefertigten Anzüge "Old Grog" genannt wurde (Brockhaus).

Wir saßen in der Kneipe in Deutsch Eylau bei unserem Grogchen, als ein neuer und unbekannter Gast herein kam. Er ging an die Theke und sagte: "Einen Kurfürst, Herr Wirt!" Der Wirt besah sich den Neuen, griff zur Flasche und fragte: "E" großen oder "e" kleinen?" Verwundert sah der Gast ihn an und meinte man bloß: "Mensch, wo sind Sie inne Schul gegangen? Haben Sie mal was vom Kleinen Kurfürst jelernt?"

Ein Handwerkerpaar war reichlich mit Kindern gesegnet, und immer kamen neue. Schließlich war das Dutzend voll. Ärgerlich sagte er da zu seiner Alten: "Jetzt bleibe ich nicht mehr unten! Jetzt ziehe ich auf die Lucht (Boden)". Und sie darauf: "Na, Vater, wenn du meinst, dass das helfen wird, dann mecht ich ja mitkommen".

In der Dorfschule des Kreises Rosenberg bittet der kleine Fritz an seinem ersten Schultag, austreten zu dürfen. Fritzchen verschwindet und kommt nicht wieder. Der Lehrer wird unruhig, besorgt geht er hinaus, um nachzuprüfen, ob dem Jungen etwas zugestoßen ist. - Die Tür mit dem Herzchen steht sperrweit offen, Fritzchen sitzt auf dem Thrönchen und verzehrt in aller Ruhe sein Frühstücksbrot. Als er den Lehrer sieht, ruft er fröhlich: "Na, Onkel, kommst auch?"



Lehrer holt Schulanfänger vom Häuschen (G. Templin)


Elf Kinder haben Luchts. "Sieh mal", sagte der Jüngste zu seinem älteren Bruder, "die Gans wird morgen geschlachtet." "Gans"?, belehrte der Große, "das ist doch e Storch. Der hat sich bloß bei uns die Beine abgelaufen".

Ein Fremder kommt auf den Bauernhof und fragt einen Jungen: "Wohnst du hier?" "Ja". "Sag mal, wo ist denn dein Vater?". "Drieben, im Schweinestall, den kennen se gleich erkennen, der hat e Mütz aufm Kopp".

Karl ist, wie die meisten Kinder, abends nicht ins Bett zu kriegen. Immer muss ihm Oma erst alle möglichen Geschichten erzählen und Versprechungen machen, wie Omas das so an sich haben. "Sieh mal", sagt sie einmal, "die Hühnerchen und die Kiekelchen schlafen auch all, denn es is auch für dich höchste Zeit, Jungche". Schlagfertig erwiderte Karl: "Denn musst du aber auch inne Holz, Omche, de alte Kluck huckt auch all längst auffe Stang".

Erich ist in der Schule ein richtiger Stubbenkopf. Seufzend sagt sein Vater eines Tages zu ihm: "Aus dir kann was werden - nuscht is nu all". "Wasch dir bloß gründlich die Hände, Karl, bevor du in die Schule gehst", ermahnt die Mutter. "Wozu, Muttche", mault Karl, "ich meld mich ja doch nicht".

Aus ostpreußischen Schulaufsätzen: "....Als meine Mutter die Kuh füttern wollte, bemerkte sie, dass sie ein Kalb bekam..." "...Wenn plötzlich Besuch kommt bei uns, dann schmeißt meine Muttche die ganze Unordnung untern Sofa. Manchmal ist mein Vatche auch dabei..."

Der Hahn ist stolz, dass er so viele Frauen hat. Wenn eine geschlachtet wird, hat er gleich eine andere". Die Kinder haben vom Altweibersommer gehört und sollen darüber einen Aufsatz schreiben. Ein kleiner Lorbass schreibt: "Im Sommer fliegen in der Luft die alten Weiber rum".

Heute haben wir Schule gespielt, erzählt die kleine Lisbeth beim Abendbrot. "Wart ihr auch artig? Will die Mutter wissen. Überlegen kommt die Antwort: "Ich brauch ja nicht artig zu sein, ich war ja die Lehrerin".

"Sagt mal Kinder", fragt der Lehrer, "welche Farbe hat das Wasser?" Nach einer Pause des Nachdenkens hebt sich endlich eine Hand und der Kleine erklärt: "Das hat keine Farbe, bloß wenn ich die Füße reinstell, denn wird es schwarz".

Der Bauer kommt zum Nachbarn. Der liegt im Kuhstall hinter einem Gang auf Stroh, schimpft und staunt, weil er nun schon vier Tage und vier Nächte darauf wartet, dass die Kuh kalbt. Da sagt der Besuch: "Na, Mensch, wenn se dich da hinten liegen sieht, denkt se, se hätt all gekalbt".

Ein älteres, recht originelles Fräulein, die in einer Kleinstadt einem älteren Herrn die Wirtschaft führte, litt unter Rheumatismus, besonders in den Beinen. Da riet eine Freundin ihr, sie sollte sich wollene Strümpfe mit der Beigabe von Hundehaaren stricken. Jettchen tat das auch, machte damit aber, wie sie auf einem Kaffeeklatsch behauptete, schlechte Erfahrungen. "Na, da hast du mir ja was Schönes geraten", sagte sie zu ihrer Freundin, und ihre Augen funkelten nur so vor Vergnügen. "Jedes Mal, wenn ich auf die Straße steh und mich erzähl, da kommt e Hundche gelaufen und hebt sein Beinche an mein Strumpf!"



Der pinkelnde Hund (G. Templin)


Und zum Schluss: Bärenfang bei Abromeits.

Ein Fräulein aus dem Altreich kam für vier Wochen als Sommergast zu Förster Abromeit in den Kreis Rosenberg. Der war so schweigsam, "so schweigsam wie Abromeit", sagten seine Waldarbeiter, wenn man meinte, dass einer besonders wortkarg war. Das Revier lag aber auch am einsamsten Winkel des Kreises. Als nun das kleine Fräulein beim Förster eintraf, bekam es zur Begrüßung Bärenfang zu kosten, und gleich wollte es wissen, ob es wohl das Bärenfangrezept bekommen könnte.

"Das Rezept", knurrte Abromeit verlegen, "das Rezept....". Als ehrliche Haut fühlte er sich in die Enge getrieben. "Für den Bärenfang gibt es tausend Rezepte und mehr", meinte er dann. "Jeder hat eins". Welches Rezept denn nun das echte, das wirklich echte, das wirklich richtige sei, wollte es wissen. Abromeit knurrte gequält: "Echt und richtig sind sie alle. Bärenfang wird hier von jeder Familie gemacht, nach alten Hausrezepten. Jeder schwört auf seins".



Bärenfang (G. Templin)

Nun schmeichelte das Fräulein, ob es wohl einen Hinweis auf die Zusammensetzung bekommen könnte, einen vertraulichen Tipp vielleicht. Förster Abromeit raffte sich zusammen. "Also, da gebrauchst Honig, am besten ganz jungen, noch nicht verzuckerten Lindenblüten- oder Kiefernhonig. Außerdem Alkohol, fünfundneunzig prozentigen Weinsprit, um es genau zu sagen, ja, und dann Zimt und Vanille. Von diesen Sachen nimmst".

Abromeit machte es durch besondere Betonung deutlich: "Ganz nach Veranlagung". Und erklärte dann ausführlich, dass mit mehr Honig und etwas Gewürz ein süßer, dickflüssiger Damenlikör entsteht. Männer möchten ihn meist wesentlich dünner. Ob er erklären müsse, wie die Dünnflüssigkeit sich in solchem Falle erreichen lasse, "nein", nun das richte sich bei jedem nach Veranlagung". "Hier bei uns", schloss Förster Abromeit, "ist die Veranlagung ziemlich flüssig".

Die schielende Köchin:

Beim Besitzer eines Hauses saß der Großhändler einer Firma bei einem Glas Bier. Da erscheint die neue Köchin, um etwas wichtiges zu fragen. Kaum ist sie wieder gegangen, da meint der Großhändler: "Mensch, was hast du dir denn da angekramt, die schielt ja", "hast das vorher nicht gewusst?" "Na klar hab ich gewusst, bisher hatte ich noch keine, wo schielt. Aber wie ich die sah, da dacht ich, is ja prima, denn ne Köchin, die so sieht wie du und ich, die kann doch nur einen Kochtopf sehn. Wenn sie aber schielt wie die da, kann se doch auf zwei Töpfe aufpassen.



Schielende Köchin (G. Templin)


Ein Dreikäsehoch schlendert über die Dorfstraße und raucht dabei eine Zigarette. Ein Einwohner, der ihn trifft, entrüstet sich: "Wart mal, du Lorbaß, das werd ich dem Lehrer sagen". Da kommt die überlegene Antwort: "Se werden sich anschmieren, ick geh noch gar nicht inne School".




Rauchender Bengel (G. Templin)


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.