Mein Freund Herbert

von Gerhard Templin

Bearbeitung: C. Mühleisen

Mein Freund Herbert stammte aus einer gut bürgerlichen Familie. Seine Mutter war Schneiderin und sein Vater Kaufmann. Sie waren schon etwas älter, als Herbert das Licht der Welt erblickte. Er hatte noch einen älteren Bruder und eine Schwester, die auch schon im Berufsleben waren. Wir wohnten in der gleichen Straße, und ich ging auch mit Herbert zusammen zur Schule.

Dieser kleine Nachkömmling entwickelte sich nach dem 6. Lebensjahr zu einem kleinen Unikum, wie wir in Ostpreußen sagten. Über seine Dummheiten will ich hier erzählen. Es sind nicht alle, aber die originellsten. So spielten wir auch Indianer. Leider verlor unser Stamm immer bei den Wettkämpfen, weil wir der Mehrzahl unterlegen waren. So kamen wir auf die Idee, wir werden uns den Herbert greifen und ihm ordentlich sein Hinterteil versohlen. Herbert schrie aus Leibeskräften, denn seine Hosen waren sehr dünn. Vor Angst liefen seine Stammesbrüder alle weg und ließen uns für immer in Ruhe.

In der Nähe war auch die Mühle Zwillenberg und dazu gehörte ein großer Ostgarten, der mit einem Stacheldrahtzaun umgeben war. Herbert und seine anderen Freunde kletterten eines Tages über den Zaun, um Äpfel zu stehlen. Der dicke Zwillenberg sah dieses und kam eiligst mit seinem Schäferhund und Stock. Alle warfen vorher die Äpfel über den Zaun und sprangen hinüber. Nur Herbert hatte seine Äpfel in beide Hosentaschen gesteckt und blieb am Stacheldraht hängen. Er erhielt vom alten Zwillenberg eine Tracht Prügel bis die Hosen zerrissen und er auf die andere Seite fiel.

Eines Tages gehe ich zum kleinen Geserichsee. Was sehe ich dort, der ganze Freundeskreis von Herbert spielt in hölzernen Waschwannen "Seeschlacht" in der Nähe der Molkerei. Herbert hatte den Stöpsel von seinem Waschzuber verloren und ging langsam unter. Da er noch nicht richtig schwimmen konnte, rief er um Hilfe. Ein Soldat, der in der Nähe stand, holte ihn raus, nass und mit Gebrüll lief er nach Hause.



Seeschlacht auf dem Geserichsee (G. Templin)

Im Winter hatten wir dort immer eine schöne Eisbahn zum Schlittschuhlaufen. Wir Jungens spielten dort oft Eishockey. Damals gab es für uns kleine Jungen noch keine Eishockeyschläger, die waren viel zu teuer. Wir machten uns selber welche aus Weiden oder Haselnussästen, die eine schöne Gabelung hatten. Herbert kam mit dem Spazierstock seines Vaters. Die Krücke brach aber schnell ab. Herbert hatte aber Nachschub, denn der alte Herr hatte 15 solcher Stöcke, die aber immer weniger wurden. Eines Tages merkte der alte Herr den Schwund und Herbert bekam seinen Lohn auf seinen Hintern.

Obwohl er nur Blödsinn im Kopf hatte, war er innerlich sehr weich. Wenn bei uns an der Schule eine Beerdigung vorbei kam, schickten wir Herbert ans Fenster, um es zu öffnen. Er brach sofort in Tränen aus und war die ganze Stunde nicht zu beruhigen.

Hier in der Schule hatte er seine großen Auftritte. So wurde er Ordner für das Krankenzimmer. Doch einige Schüler ärgerten ihn in der Pause. So baute er über die Eingangstür eine Falle. Es war ein Gerüst mit einem Eimer Wasser. Aber dieses Mal kam kein Schüler, sondern der dicke Erdkundelehrer, der den Eimer mit Wasser über seinen Kopf bekam. Da gab es natürlich Prügel und Herbert war seinen Posten los. Bei diesem Lehrer hatten wir auch Flugmodellbau. Angeblich war er schon im 1. Weltkrieg bei den Fliegern gewesen. Er trank gerne einen guten Korn. Herbert musste diesen Schnaps aus der Gaststätte Bahl für ihn holen. Er nahm dann immer einen guten Schluck davon und füllte mit Wasser nach. Es ging eine Weile gut. Der Lehrer fragte den Gastwirt, ob es immer derselbe Schnaps ist. Er käme ihm sehr dünn vor. Da erzählte der Wirt dem Lehrer, dass er Herbert beobachtet hat, wie er immer einen Schluck aus der Flasche nahm. Der Lehrer empfing meinen Freund nicht ungestraft.

Mit diesem Lehrer gab es noch eine Episode. Er war einmal auf seinem Stuhl eingeschlafen. Herbert nahm einen Zollstock und hat den Dicken vermessen und machte dabei seine Dummheiten. Durch lautes Lachen einiger Schüler wachte der Lehrer auf und Herbert bekam eine Backpfeife, dass er mindestens drei Meter weit flog. Mit Herbert gab es immer etwas zu Lachen.

Wie alle Jugendlichen war auch Herbert im Jungvolk. Er meldete sich zum Spielmannszug und ließ sich zum Tambourmajor ausbilden. Die Wehrmacht in Deutsch Eylau bildete unsere Spielleute aus. Herbert machte es sehr ordentlich, nur hatte er einen großen Fehler. Der Tambourmajor muss ja immer im Gleichschritt gehen. Aber grundsätzlich hat er immer mit dem verkehrten Fuß seine Marschmusik angefangen. Er hat es nie gelernt. Nach der Schule machte er ein Jahr Landjahr und fing dann eine Lehre im Elektrohandwerk an.



Herbert als Tambourmajor (G. Templin)

Beim Eintritt am 1. April in den Betrieb schickten ihn seine Kollegen in eine Schmiede, da sollte er Entwicklungsfett holen. Die Schmiedegesellen verstanden keinen Spaß. Sie dachten, er will sie wohl auf den Arm nehmen. Sie legten ihn über den Amboss und Herbert bekam eine Lektion auf sein Hinterteil. Als ich ihn einige Tage später traf, sagte er mir, dass er nie wieder eine Schmiede betreten werde.



Herbert holt sich Entwicklungsfett ab (G. Templin)

Der Schalk blieb immer in ihm haften. Als wir den rechten Flügel des Rathauses renovierten, setzte er die nasse Wand des Treppenhauses, die von uns gerade abgewaschen war, unter Strom. Unsere Abwaschbürsten flogen uns aus der Hand. Dieses Mal hatte er noch Glück, aber bei der Renovierung des Röntgenzimmers im Krankenhaus hat er diesen Blödsinn auch gemacht. Da erhielt er von unserem Meister eine Tracht Prügel und durfte diese Arbeitsstelle nicht mehr betreten. Wann er seine Lehre beendet hat, weiß ich nicht. Er meldete sich freiwillig zu den Fallschirmjägern. Aber auch bei den Fallschirmjägern hatte er den Schalk im Nacken. So holte er aus dem Waffenbehälter eine lange Signalpatrone und wollte den kleinen Fallschirm, der dort vorhanden war, seiner Mutter schicken.

Die Einheit lag in Alarmbereitschaft und es musste absolute Ruhe herrschen. Plötzlich ging diese Patrone los. Das Pulver fing an zu sprühen und dann kam der Pfeifton. Das gab ein Theater. Der Adjudant brüllte in den Fernsprecher: "Sieben Tage geschärften Bau bekommt der Mann!" Sein Zugführer handelte auf drei Tage herunter. Er musste zum Kommandeur und der sagte: "Ich bestrafe sie mit drei Tagen geschärften Arrest, weil sie am 07.09.1943 spielerisch eine Pfeifpatrone entzündet haben und somit das Biwaklager in Alarmzustand versetzt haben. Abtreten!" Diese Sätze habe ich nie vergessen.



Mein Jugendfreund Herbert

Über seine Erlebnisse bei dieser Einheit, in der er Funker war, hat er ein kleines Büchlein geschrieben. Er war im Lehr-Fallschirmjäger-Batl. in Italien, Frankreich, Belgien, Holland, Pommern und Mitteldeutschland eingesetzt und nahm an der Befreiung von Mussolini (Duce) teil. Hundert Fallschirmjäger der 1. Kompanie landeten unter Führung von Oberleutnant von Berlepsch auf dem "Gran Sasso". Es waren 12 Lastensegler, die genau vor dem als Gefängnis umfunktionierten Ski-Hotel Campo Imperatore (2200 ü. d. M.) landeten. Der "Duce" war von einer vierhundert Mann starken Sondereinheit bewacht. Die Befreiung erfolgte innerhalb von fünf Minuten. Es fiel kein Schuss. Auch die Fallschirmjäger hatten keine Ausfälle.



Otto Skorzeny, der von Himmler einige Tage davor vorprogrammiert wurde, kam einige Minuten später, nachdem die Fallschirmjäger schon alles erledigt hatten. Er erhielt das Ritterkreuz, das er nicht verdiente. (Siehe Foto). General Student und die beteiligten Einheiten waren darüber erbost.

Bei meinem Urlaub von der Wehrmacht traf ich ihn auch und er erzählte mir seine Erlebnisse, die er auch in seinem Büchlein niedergeschrieben hat. Er kam wohlbehalten aus dem Krieg und arbeitete seit Bestehen des Heimatkreises Rosenberg mit. Er betreute die Heimatstube. Auf unseren Ausschusssitzungen war er immer dabei. Bei Abstimmungen war er immer dagegen. Wenn der Heimatkreisvertreter ihn zur Rede stellte, sagte er, der ewige Schalk: "Eine Stimme muss immer dagegen sein."

Er starb vor einigen Jahren ganz plötzlich. Mit ihm ging ein Original aus meiner Jugendzeit dahin, es war mein letzter Jugendfreund.

Auf der letzten Seite des Büchleins steht ein Spruch:



Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.