Der Herbst in unserer Heimat
von
Gerhard Templin
Bearbeitung C. Mühleisen
Der
kurze, aber heiße Sommer war bei uns bald vorbei. Da schloss sich der
Altweibersommer mit seinen Spinnweben an. Kühler Wind wehte über die
abgeernteten Felder, wo wir Kinder jetzt unsere Drachen steigen ließen.
In bunter Farbenpracht erstrahlten die Misch- und Laubwälder um den
Geserichsee zur Zeit der Kartoffelernte, die uns meist noch schöne,
wenn auch kurze Sonnentage brachte.
Kinder ließen ihre Drachen steigen und freuten sich auf die heißen
Kartoffeln (G. Templin)
Nachts fällt heute wie
damals schon starker Tau und auch öfter Reif. In den Wäldern hört man
die Brunftschreie der Hirsche, wie in alter Zeit. Die Störche, Reiher
und junge Raubvögel haben ihre Nester verlassen und sind gen Süden
gezogen. Wie uns von einem Förster gesagt wurde, bleiben die Altvögel
zum Teil über Winter in ihren Nestern, weil Durchschnittstemperaturen
auch in diesem Gebiet angestiegen sind. Hier und da sieht man noch
Sperber, Habichte und Bussarde in den Lüften kreisen und wehe dem
Lebewesen, das ihr Auge erspäht.
Zu welcher Tageszeit war es nun
damals besonders schön? Wenn es sommerlich warm war, so konnte man
mittags weit über die Felder sehen. Oder abends auf dem See, wenn ein
leiser Wind im gelben Rohr raschelte, tauchten die Sonnenstrahlen der
untergehenden Sonne den Wald noch einmal in seine Farbenpracht. Die
Schatten wurden dann immer tiefer und länger und die Spiegelungen in
den Seen immer farbiger, bis sie allmählich verblassten.
Am
allerschönsten war aber doch der Morgen, wenn leichte Morgennebel
zwischen den Bäumen lagen, bis die Sonne herauskam, und die Baumstämme
in altgoldenen Farbtönen schimmerten. Von Sekunde zu Sekunde trat das
Laub der Buchen, Birken, Linden und Ahornbäume immer bunter hervor. Bei
leichtem Wind rauschte es in den Bäumen und man hörte die Blätter
fallen.
Diese Schönheit ist auch heute nicht tot. Überall regt
es sich im Wald, raschelt es im Laub und in den Baumkronen. Es ist die
Zeit der großen Ernte für die Eichkätzchen, Häher, Tauben und
Kleinvögel. Was vom reichen Segen der Bucheckern und Eicheln
herunterfällt, holen sich die Waldmäuse, Meisen und Finken.
Auch
auf unserer Insel Groß Werder im Geserichsee wird es malerisch Herbst.
Hier werden die Schatten der Erlen am Uferrand immer länger. Zum
letzten Mal macht die Kuhherde ihre Wanderung am See entlang. Nicht mehr
viel finden die hungrigen Mäuler. Gerne gehen sie nicht in den Stall
zurück, genauso wie der Hirt und der Hund.
Im Herbst ist auch
die Zeit der Reiter gekommen. Damals waren es die Fuchsjagden, die bis
zum Hubertustag veranstaltet wurden. Bei Herrn von Puttkammer in Gr.
Jauth war die erste Jagd. Dort war auch vom westpreußischen
Reiterverein die Meute stationiert. Der Huntsmann wurde von der
Wehrmacht aus Deutsch Eylau gestellt. Die Meute wurde oft von Frl. von
Puttkammer begleitet. Pferde aller Farben, Reiter in roten Röcken,
Kutschwagen mit den Damen und Kindern fanden sich ein. Inzwischen legte
der Huntsmann die Fuchslosung. Der Master Herr von Puttkammer führte
nun das Jagdfeld durch die prächtigen Herbstwälder und Stoppelfelder.
Am Halali trafen sich Reiter und Zuschauer. Eichbrüche wurden verteilt
und es wurde ausgiebig gegessen und getrunken. Die treuen Pferde
brachten dann ihre Herrschaften zum heimatlichen Hof.
Reiter im Herbst (G. Templin)
Aber auch Hindernisrennen wurden
veranstaltet, an denen oft unser Reichspräsident und
Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg als Zuschauer teilnahm. Sehr
interessant waren die Reit- und Springturniere. Auf diesen Turnieren
waren erfolgreich: Teschke (Neuguth), Lucht (Riesenkirch), Gebrüder
Neumann (Rosenberg), Vater und Sohn Brandt (Grasnitz), Herbrechter und
Klisch (Schönberg) und einige Feldwebel und Offiziere der 13. Kompanie
I. R. 3 aus Deutsch Eylau. Es gab keine großen Preise. Außer den
Ehrenpreisen waren die Geldpreise 120, 100, 80, 40 und 20 Reichsmark.
Eine
Ernte im September muss ich noch erwähnen. Es ist die Honigernte der
Waldbienen von den Beutekiefern. Der letzte deutsche Beutner war bei uns
Friedrich Görke aus Finckenstein. Hier gelang es in letzter Minute, der
Nachwelt ein Bild der mittelalterlichen Waldbienenwirtschaft in
Beutekiefern zu übermitteln. Da die Bienenbeuten nur in starken, d. h.
alten Stämmen angelegt werden konnten, war der Abgang an Beutekiefern
immer groß. Aus den abgestorbenen Beutekiefern sägte man den
Stammesabschnitt mit der Beute heraus und stellte ihn als Klotzbeute an
die Hauswand und bewirtschaftete dort die wilden Bienen, bequemer als im
entfernten Forst. Ob die Waldbienenwirtschaft der Grundstein für die
Hausbienenwirtschaft war, ist nicht sicher. Fest steht: Als die
Ordensritter nach Preußen kamen, fanden sie die Waldbienenwirtschaft
dort vor. Grundsätzlich gehörte das Zeidlergewerbe - so nannte man die
Ausübung der Beutnerei- dem Grundherrn und dieser verlieh dieses Recht
gegen Abgaben.
Der Abschied von der bunten Pracht des Herbstes,
die nach den ersten Nachtfrösten verschwunden war, war kein
wehmütiger, denn ich wusste, dass im ewigen Werden und Vergehen der
Natur im Frühjahr neues Leben erwacht.
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen
von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen. |