Auch das war Deutsch Eylau

Gerhard Templin


Bearbeitung C. Mühleisen

Zweimal in der Woche wurde es auf unserem großen herrlichen Markt einschl. Schloss - Str. und Kirchplatz lebendig. Schon früh am Morgen hörte man an jedem Mittwoch und Sonnabend das Knattern der Bauernwagen und Klappern der Pferdehufe auf den Zufahrtsstraßen zum Marktplatz. Diese Straßen hatten damals noch Kopfsteinpflaster, nur der Markt hatte schon eine Asphaltdecke. Einige Bauern brachten ihre Fahrzeuge in den Ausspann u. a. zu Falk, Scheminski, Reschke, Schilkowski, Pfahl und Pflug. Die Landwirte, die etwas verkaufen wollten, fuhren auf den Markt und nahmen Aufstellung vor der Ladeninsel: Dort stand auch immer unser Großonkel mit der Tante Minna aus Scharschau mit ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Nicht nur auf der Straße kamen die Bauern, auf dem See kam das Motorschiff Ernst aus Schalkendorf und Schwalgendorf mit ihren Erzeugnissen. Pünktlich um 8 Uhr begann der Verkauf auf dem Markt.




Meine Mutter und ich auf dem Wochenmarkt (G. Templin)


Meine Mutter ging an diesen Tagen immer zum Markt und so habe ich sie öfter begleitet. Sie war damals noch sehr jung, aber sie wusste, was sie kaufen wollte. So waren gleich an Otto Estner, Beginn der Schloss - Str. die Fischstände. Die Auswahl war riesengroß. Der erste Stand gehörte Fischer Weichert mit seinem Fräulein Seewaldt. Hechte, Zander (vor dem Weltkrieg wurden sie jeden Donnerstag an des Kaisers Tisch geliefert), Brassen, Barsche, Aale und Quappen gab es hier. Frl. Seewaldt wusste, dass ich so gerne den großen Rogen der Quappen aß und so hatte sie immer einige für mich bereit, die in der Fischsuppe köstlich schmeckten. Sie rief dann immer: "Gerhard ich habe was für Dich!"



Ein dürres Fräulein: "Sie schreiben "lebende Fische", aber die Fische springen nicht!" - "So?" meint die Fischfrau, "springen Sie?" (G. Templin)


Bei den Fischern habe es nicht nur Frischfisch, sondern auch geräucherte Ware: Aale, Bücklinge, Sprotten u. a. m. Meine Cousine Hilde hatte dort ein besonderes Erlebnis. Sie hat für ihre Mutter, unsere berühmte Tante Anna, 2 Aale gekauft. Gleich an der Ecke traf sie eine alte Schulfreundin, sie jabberten um die Wette. Da die Aale noch lebten, flutschten sie aus dem Papier über den Korbrand auf den Bürgersteig in den naheliegenden Regenkanal und waren verschwunden. Die ganze Verwandtschaft machte sich darüber lustig. Hilde hat nie wieder Aale gekauft.



Cousine Hilde mit Freundin beim "Jabbern" (G. Templin)


Gleich hinter den Fischhändlern waren die Obst-, Gemüse- und Blumenstände. U. a. hatte dort der Gärtnermeister Urlaub seinen Stand. Die Bezeichnung für seine Äpfel machte er selber. So hießen seine Äpfel: Sommerjungfernschönchen oder Winterjungfernschönchen usw. (Anm. Im letzten Krieg hat er sehr viele russ. Panzer abgeschossen, erhielt sehr hohe Auszeichnungen und wurde Offizier). Übrigens war er auch Turnwart im Turnverein. Meine Mutter kannte ihn aus der Jugendzeit. Bei ihren Einkäufen erhielt sie immer einen Blumenstrauß und mit seinen Gewichten war er auch nicht so genau, wenn seine Frau nicht dabei war.!! Ja, so war Deutsch Eylau, eine herrliche Stadt.

Nach dem Kauf von Gemüse und Obst kamen wir auf den Kirchplatz. Da standen in langen Schlangen Bänke und Tische mit Geflügel, Eier und Butter. Hier boten polnische Landfrauen, die an diesen Tagen mit einem Sonderzug zur Stadt kamen, ihre Waren an, die oft sehr billig waren. Mit dem deutschen Geld wurden gleich Waren eingekauft, weil es in Polen viele Dinge nicht gab. Aber an solchen Tagen wurde auch viel gestohlen. Die Polizei war machtlos.



Der Marktplatz in Dt.-Eylau (um 1917): links das Hotel Kowalski, rechts das Hotel "Zum Kronprinzen"
Sammlung C. Mühleisen




Deutsch Eylau: Das Hotel "Zum Kronprinzen" - Am Markt (1904) Sammlung C. Mühleisen


Vor dem Hotel "Zum Kronprinzen" saßen oder standen die Pilz- und Beerenanbieter. Pfifferlinge, Steinpilze und Maronen waren sehr beliebt. Auch wurden hier aromatische Walderdbeeren und Blaubeeren angeboten. Öfter wurden hier auch lebende Gänse, Enten, Kaninchen, Hühner und Täubchen gehandelt.



Oma mit Pilzen (G. Templin)


Vor der langen Seite von Roswadowski bis zum Hotel "Kowalski" standen unsere deutschen Landfrauen mit allen möglichen Sorten Eier in Häcksel gebettet. Sie wurden zu Mandeln (15 Stck.) oder Schock (60 Stck.) gehandelt. Auch Geflügel und Butter konnte man dort kaufen.

Es war köstlich, dem Treiben auf dem Markt zuzusehen. Ich hatte eine Tante "Anna", wenn diese meine Mutter traf, dann konnte man einen Film drehen. Bei den zu mageren Hühnern sagte sie: "Guck mal Bertche, die Olle sieht genau so aus wie ihre Henne." Wer nun wirklich Absichten hatte, kannte bald seine Lieferanten, suchte nicht und wurde handelseinig. Es gab aber auch einige, die ewig nörgelten und ihren Geschmack nicht kannten. Sie wurden der Schrecken der Butterfrauen.

Wie schon erwähnt, standen vor der Ladeninsel des Marktes die Bauern mit ihren Wagen. Während die Pferde am Kopfende ihr Heu fraßen, wurden die Erzeugnisse verkauft. So gab es dort Kartoffeln und die herrlichsten Früchte, wie die ersten August-Äpfel, Gravensteiner, Birnen in vielen Sorten und zuletzt auch die Pflaumen. Aber auch ihr angebautes Gemüse boten sie an: Grüne Gurken, Wruken, Mohrrüben, Tomaten, Rotkohl u. a. m.

Öfter hatten sie auch kleine Ferkel, die besonders viel Krach machten. Es war ein farbenprächtiges Bild, wenn die Bäuerinnen mit ihren bunten Kopftüchern auf den Wagen saßen.

Übrigens die Märkte bei uns waren alle sehr groß und viereckig. Inzwischen hatte sich in den Geschäften der Umgebung ein lebhafter Handel entwickelt. Mit dem Erlös wurde reichlich eingekauft. Nicht nur die Kolonialwarengeschäfte hatten Betrieb, die meistens gleichzeitig einen Ausschank hatten, sondern auch die größeren Kaufhäuser machten einen guten Umsatz. Auch die Fleischer und Bäcker kamen auf ihre Kosten. In den späteren Jahren wurde der Platz vor der alten kath. Kirche auch Marktplatz. Hier standen die Landschlachter, Bäcker und Käsehändler mit ihren Verkaufswagen und Buden.

Hunde durften auf dem Markt nicht frei herumlaufen. Es gab nur eine Ausnahme, das war der Hund von Fleischermeister Fritzchen Klatt. Die Werkstatt war in der Nähe und auch sein Geschäft. Dieser Hund riss sich an diesen Tagen immer los, besuchte die Stände und erhielt überall etwas zu fressen. Die Fleischergesellen mussten ihn immer einfangen. Meistens hat er sich immer unter einem bestimmten Tisch versteckt.

Auf unserem Markt gab es noch ein Original. Er hieß "Walter Jäckel" und war im Krankenhaus beschäftigt. Er war etwas geistig behindert. Meine Schulfreunde gaben ihm den Rest, wie man sagte. Wenn einer ihn fragte: "Walter, Du hast ja keinen Vater." So antwortete er: "Mehr wie Du." Oder "Walter, wo bist Du geboren?", so war die Antwort: "Bei Schilkowski im Schnapsglas." In der Schule blieb er von Anfang bis Ende in der gleichen Klasse. Wenn der Lehrer ein großes "I" an die Tafel schrieb, war Walter gleich fertig, indem er ein großes "I" über seine ganze Schiefertafel malte. Der Markt war ohne diesen Mann nicht wegzudenken. Meistens kam er mit der Oberin des Krankenhauses auf den Markt. Er war ein Pflegefall, aber gemütlich.

Bei den Eierfrauen bemängelte eine Käuferin die zu kleinen Eier. Schließlich reißt der Bäuerin die Geduld: "Na, glauben se vielleicht, meine Hühnerchens werden sich wegen Ihnen ihre Popochens aufreißen?"

Aber auch an den Butterständen gab es nörgelnde Käufer. Eine Dame probierte immer die Butter mit einem kleinen silbernen Löffel. Es war die Frau eines Amtsrates. Sie kam aus einer Großstadt, weil in Deutsch Eylau alles billiger war. Die Bauersfrauen kannten sie schon. Einmal war ihr die Butter zu gelb, dann wieder zu salzig. Als sie wieder einmal auf den Markt kam und mit ihrem Löffelchen die Butter probierte, verzog sie gleich das Gesicht. "Sie Person, Sie haben wohl das ganze Salzfass ausgeschüttet?" "Nee," antwortete die Bäuerin, "unsere Katze hat die Salztüte zerbissen und mit dem Zagl alles auf die Butter gewedelt. Aber Madamchen, wenn sie die Butter dünn auf das Brot schmieren, merken sie das Salzige gar nicht mehr." Die Frau schüttelte sich: "Behalten sie Ihre Butter, nie wieder werde ich welche von Ihnen kaufen."

Sie ging zur nächsten Bauersfrau, die mit freundlichem Lächeln ihre die Butter entgegenhielt. "Ist ja so Gries", sagte Frau Grigoleit, so hieß sie. "Macht doch nichts, das bisschen Gries! Als ich beim Buttern war, kam ein Huhn in die Küche und plusterte sich in der Asche so auf, dass sie auf die Butter flog. Dafür lasse ich Ihnen die Butter ein Dittchen billiger. Im Geschmack merken Sie nichts!" "Danke für so eine Butter!"



Bäuerin und Frau Grigoleit beim Butterkauf (G. Templin)


Die dritte Bäuerin schien eine naive Frau zu sein, vielleicht auch ein wenig schüchtern. Sie blickte nur auf das Körbchen, in dem die Butter lag. Das schönste Stück lag obenauf, und die Grigoleitsche probiert einmal, dann noch einmal und sagte nachdenklich: "Ein komischer Geschmack, sehr würzig, was für Zutaten haben Sie dazu genommen?" "Zutaten? Nee, es ist man nur, aber dafür lasse ich Ihnen zwei Dittchen abhandeln. Wissen Sie, ich habe sechs Kinder...! Und was mein Jüngstes ist, das ist erst ein Jahr alt, aber sauber sag ich Ihnen, geht allein aufs Töpfchen. Und da hat es nachts den Sahnetopf mit seinem Töpfchen verwechselt. Ich habe versucht, es vorsichtig von oben abzuschütteln, aber es ist sicherlich doch noch was drin geblieben, aber wie gesagt, ich lasse zwei Dittchen ab."

Da ist es mit der Fassung der Frau Amtsrat vorbei. Sie kämpft mit einem Brechreiz und verschwindet. Später sitzen die drei Bauersfrauen in der Gastwirtschaft Schilkowski bei einem Quartierchen, reiben sich die Hände und lachen, dass sie der Frau den Geschmack an ihrer Butter verdorben haben.



Der Gänseverkäufer (G. Templin)


Diese Episoden und noch viel mehr haben mir meine Mutter und die "Tante Anna" erzählt. Diese Tante war der Anziehungspunkt für alle Nichten und Neffen. Hier erfuhren sie alle Dummheiten. Herrlich war es auf dem Markt zur Weihnachtszeit. Festlich geschmückt bot er sich dar. An jeder Ecke wurden Weihnachtslieder gespielt, sogar der Leiermann mit seiner Orgel war da, jetzt gab es die gemästeten Gänse und Enten in Mengen. Es waren noch die alten Zeiten. Ach war das eine herrliche Stadt.


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.