Wie schön ist es, Soldat zu sein

von Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleisen

Dieses ist kein Aufsatz zur Verherrlichung des Soldatentums oder des Krieges. Ich möchte nur hier erzählen, was ich als Achtzehnjähriger bei der damaligen Wehrmacht erlebt habe, vor allen Dingen mit meinen Vorgesetzten. Es ist eine wahre Geschichte, die bei mir im Gedächtnis geblieben ist, ich habe diese Begebenheiten schon oft meinen Söhnen und Enkeln erzählen müssen.



Gerhard Templin mit 18 Jahren (1943)

Ich kam nach Göttingen zu den Panzerjägern. Kaum 14 Tag dort, war die Vereidigung. Im Laufschritt ging es zur Kirche, dort sang man bereits das letzte Lied. Dann die Vereidigung. Zur Feier des Tages gab es auch eine dünne Nudelsuppe. Das Kochgeschirr war halb leer, als wir über den holprigen Kasernenhof gingen. Drei Tage später kamen wir nach Belgien (Flandern), kurz vor die Kanalküste bei Ostende, wo wir eine fünfmonatige Grundausbildung erhielten. Gleich am zweiten Abend haben wir drei Mann den Zapfenstreich um 22 Uhr verpasst und wollten über den Zaun. Da kam ein netter Herr und half uns über den Zaun. Am nächsten Tag beim Morgenappell kam unser baumlanger Spieß und sagte zu mir: "Wenn ihr wieder über den Zapfen haut, dann lasst euch nicht vom Kompaniechef über den Zaun helfen". Am gleichen Tag hatten wir nachmittags Geschütz- und Waffenreinigen. Unser Kompaniechef kam und rief: "Ist hier ein Grenadier Templin", "Jawohl, hier!" "Sind Sie verwand mit den Templins aus dem Deutsch Eylauer Turnverein?" "Ich bin Hauptmann Dieckmann und habe in Deutsch Eylau beim Infanterieregiment 3 zwölf Jahre lang gedient und habe auch dort geheiratet. Kannten Sie den Torwart vom VFB, das war ich". Ich kannte ihn. "Denken Sie ja nicht, dass sie hier als KOB (Kriegsoffiziersbewerber) bevorzugt werden". Es folgten einige Erinnerungen aus der Heimat.

Einige Tage später und wieder beim Morgenappell, sagte mein Spieß zu mir: "Na, Sie schräger Vogel, Sie sind der unsoldatischste Soldat der deutschen Wehrmacht, aber wollen Sie mein Putzer werden?" "Jawohl, Herr Hauptfeldwebel". "Ich bin auch mit einer Deutsch Eylauerin verheiratet". Seine Frau wohnte bei uns in der Bahnhofstraße und ich kannte ihre Geschwister. Es wurde immer lustiger und ich wurde Putzer beim Spieß. Wenn am Nachmittag Waffenreinigen war, brachte ich seine Sachen in Ordnung. Allerdings musste ich morgens eine halbe Stunde früher geweckt werden, damit ich meinen Spieß wecken konnte. Da sagte mein Geschützführer, ein Unteroffizier, rufen sie ja nicht "aufstehen", d.h. "Herr Hauptfeldwebel, es ist 5.30 Uhr". Er freute sich, dass einer seiner Geschützbedienung Putzer beim Spieß geworden war. Morgens verlangte der Spieß immer eine Zeitung bevor er aufstand. Nach einer Woche sagte er, dass immer dasselbe in der Zeitung steht. Da merkte ich, dass ich ihm die ganze Woche die gleiche Zeitung gegeben hatte. Gott sei Dank, dass er es nicht bemerkt hat.



Wache (G. Templin)

Eines Tages hatte ich Nachtwache (Doppelposten) an einem Gefechtsbunker. Da tauchte ein Schatten in der Dunkelheit auf. Wir riefen "halt, wer da". Es kam keine Antwort. Mein Kamerad leuchtete mit der Taschenlampe und es war ein schönes großes Schwein. Wir sperrten es in unsere Fahrzeughalle und unser Koch wetzte schon die Messer. Aber morgens kam ein Bauer und suchte sein Schwein. Er hatte es von den Frauen, die in unserer Küche beschäftigt waren, erfahren. Aus war es mit dem Schweinebraten.

Da hatte ich eines Tages wieder Wache an dem Gefechtsstand, kommt ein schneidiger Oberfeldwebel daher. Die Mütze auf halbacht und etliche Orden und Ehrenzeichen an seinem Waffenrock. Ich mache meine "Ehrenbezeigung". Da werde ich von ihm angesprochen: "Wie ist ihr Name?" Ich antwortete: "Grenadier Templin". "Aha", sagte er nur. Als ich in die Wachstube komme, ist er auch da. "Sie kommen aus Deutsch Eylau, da kennen Sie auch meine Schwiegereltern. Sie sind die Inhaber des Kaufhauses Pischke. Ich bin verheiratet und habe 2 Kinder".

Wir arbeiteten für die Firma Pischke (Stascheit) und ich kannte auch seine Eltern, die in Deutsch Eylau einen Kaufmannsladen hatten. Jetzt war ich bei einem Dreigestirn aus Deutsch Eylau gelandet. Bei jeder Gelegenheit wurde ich abkommandiert: Sanitätslehrgang, Gasentgiftung, Panzernahkampf, Munitionstransport, Kuriers zur Armee und noch viele Sonderaufträge. Dieser Oberfeldwebel wurde mein Zugführer. Wenn wir morgens ins Gelände marschierten, ging er immer einige Schritte vor uns. Bei seinem liebsten Lied war immer der Refrain "drum lieb so lang du lieben kannst, Wein, Weib und Becherklang und ein treues Mägdelein, tief in dein Herz hinein". Er war oft Offizier vom Ortsdienst. Er musste dann die Wachen, fast eine Kompanie, vergattern (Kennwort). Er führte diese Sache immer ganz zackig durch.

Bei einer Divisionsübung war ich als Richtschütze einem Uffz. aus Schlesien zugeteilt. Bei einer Zielansprache des Geschützführers musste immer der Richtschütze ein Hilfsziel angeben. So entwickelte sich folgende Zielansprache des Uffz. und mir (den ich nie vor voll nahm): "Geradeaus in dieser Richtung feindliches MG-Nest am linken Baum der Pappelreihe, Hilfsziel!" Ich antwortete: "Links daneben kniende Ameise". Vor Wut warf er mir leere Patronenhülsen auf meinen Stahlhelm und ich musste 14 Tage Tischdienst machen. Das merkte mein Spieß, der den Uffz. ordentlich ins Gebet nahm.

Eine andere Begebenheit: Ich hatte Stubendienst. Es kam der Uffz. vom Dienst, der als scharfer Ausbilder bekannt war. Kurz vor 10 Uhr hat ein Kamerad noch im Bett geraucht und warf seine Kippe auf die Erde. Ich meldete die Stube ab, da sagte der Uffz. zu mir: "Und was ist das?" Ich antwortete: "Das ist eine Kippe". Und in der Ecke hing noch eine Spinnwebe. "Das soll wohl der Schleier für Ihre Braut werden?" Ich sagte treu und brav: "Jawohl, Herr Uffz.". Ich dachte, dass ihm vor Wut der Kopf platzt. Zur Strafe musste ich eine Woche Stubendienst machen. Meine Kameraden halfen mir jedes Mal und ich brauchte nur die Stube abzumelden.

So hatte ich mit einem Kameraden aus Braunschweig zusammen einen Schrank. Er war auch KOB und hatte in seiner Jugendzeit nur Kindermädchen. Er konnte nicht einmal einen Knopf annähen. Wenn er nähen und flicken sollte, liefen ihm die Tränen. So sprang ich für ihn ein, denn meine Mutter hatte uns Jungen frühzeitig das Nähen beigebracht. Er bekam laufend kleine Päckchen mit Enten- und Gänsefleisch in Dosen und so bekam ich immer die Hälfte ab. Mein Geschützführer sagte einmal zu ihm: "Latteier, was sind Sie von Beruf?" "Schüler", sagte er. "Bei uns werden keine Schüler Soldat". "Haben Sie das Abitur, oder nicht?" "Nicht ganz", sagte mein Kamerad. "Aha, dann sind Sie Beinaheabiturient!"

Der Bursche hatte ganz dicke Brillengläser, aber er schoss beim ersten Panzerangriff gleich 3 engl. Panzer ab. Dieser Uffz. hatte eine Glatze und bei einem Uffz.-Abend verlor er bei einer Wette und da schmierten ihm die Zugmaschinenfahrer die Glatze mit Abschmierfett ein. Ich sollte nun etwas zum Abwaschen besorgen. Damals gab es ein Mittel, das P 3 hieß. Er machte es und dabei ging ihm die ganze Kopfhaut ab und er sah aus wie ein Pavian.

Es war ein zackiger Bursche, nur auf einem Auge schielte er. Beim Unterricht sprach er immer einen Soldat auf der linken Seite an, dann sprang rechts einer auf. Wir haben dieses mit Absicht gemacht. Er sagte dann immer: "Sie blöde Maske, schiel ich etwa?" Wir waren alles junge Soldaten und nahmen alles mit Humor auf.

Nach unserer Ausbildung kamen wir auf einen Feldflughafen aus den Jahren 1940/41, als Deutschland noch die Lufthoheit über dem Ärmelkanal hatte. Wir hatten dort einen 5 cm Zug. Einige Tage später kam ich auf den Stützpunkt Ludendorff in die Küstenverteidigung. Am gleichen Tag fand ein Luftangriff auf diesem Feldflughafen statt und sämtliche Soldaten fanden den Tod. Hatte ich ein Glück! Einige Tage später wurde ich bei einer Meldefahrt zum Stützpunkt von einem amerikanischen Jäger angegriffen. Mein Fahrrad wurde zerschossen, aber ich blieb unverletzt. Der Stützpunktkommandant schenkte mir gleich drei Weinbrände ein.



7,5 cm Pak (G. Templin)

Ich gehörte auf dem Stützpunkt Ludendorff zur 7,5 Pak, das war unser schwerer Zug, den der Oberfeldwebel Str. aus Deutsch Eylau führte. Neben meiner Tätigkeit als Melder war ich auch Richtschütze und schulte öfter Uffz. und Feldwebel an der 7,5 Pak. Dieses war eigentlich ungewöhnlich, aber ich hatte Ausbildung an der 3,7 - 8,8 cm Pak. Ich war das Mädchen für "Alles" und schlief mit meinem Zugführer in einem Bunker. Er war ein ausgezeichneter Vorgesetzter, aber auch ein Lebemann auf allen Gebieten. Zuerst musste ich für ihn einen 70-seitigen Lehrplan für Panzerjäger schreiben und zeichnen. Wir waren ein gut eingespieltes Team. So musste ich jeden Tag für ihn Bratkartoffeln braten. Er sagte zu mir: "Wenn wir einmal nach Hause kommen, dann musst Du meiner Frau Dein Rezept erzählen". Es gab damals schon in Belgien fette geröstete Zwiebeln, aber mehr verrate ich nicht.



Am Strand von Ostende. (G. Templin)

"Oberfeldwebel, siehst Du auch Mädchen?" "Nein, Leutnant Bubi, nur Unteroffiziere mit Ferngläsern".

Wir kauften auch im 10 km entfernten Ostende grüne Heringe ein. Diese wurden eingelegt oder es wurden Rollmöpse gemacht, auch Bücklinge räucherten wir. Da neben unserem Stützpunkt eine Flakbatterie lag, kauften diese bei uns ein. Mit dem Gewinn wurden dann Spirituosen gekauft. Da dieser Stützpunkt Frontgebiet war, mussten wir immer im Kampfanzug und Schuhen schlafen. Mann vermutete eine Landung der Amerikaner in diesem Gebiet. Fast jede Nacht war bei uns Alarm, wenn feindliche Schnellboote oder Fliegerangriffe waren. Nur mein Oberfeldwebel ging im Schlafanzug ins Bett. Trotzdem musste ich bei jedem Alarm sofort melden "Panzerjäger einsatzbereit". Dem Stützpunktkommandant, bei uns "Bubi" genannt , kam diese Sache komisch vor und er kontrollierte uns. Aber er hatte kein Glück. Einmal gab es Alarm und mein Oberfeldwebel saß in einer alten Badewanne. Er sprang, so nass wie er war, in die Stiefel, den Stahlhelm auf und den Mantel über und machte Meldung.



Mein Oberfeldwebel beim Baden (G. Templin)

Unser "Bubi" ließ sich nicht mehr sehen. Nur einmal schickte er seinen Melder, dass der Zugführer zu ihm kommen sollte. Mein Oberfeldwebel ließ ihm sagen, wenn er etwas von ihm wollte, soll er zu ihm kommen, sonst  könnte er ihn...! Der Bubi kam und wurde von meinem Oberfeldwebel mit Alkohol stark abgefüllt.



Für mich den doppelten Cognac, und für den Leutnant Bubi ein kräftiges Malzbier
(G. Templin)

Mein Oberfeldwebel hatte viel Fronterfahrung, wie auch mein Chef. Beide kamen noch als Verwundete aus dem Stalingradkessel heraus. Mein Zugführer konnte sich alles erlauben. So verwickelte er die Posten auf den Stützpunkten in Feuergefechte, weil er nie das Kennwort wusste, das jeden Tag geändert wurde. Sein Name war bald ein Begriff auf den Stützpunkten und gefürchtet. Da ich hellblonde Haare hatte, sagte er immer Goldjunge zu mir. Er nahm öfter mein Gewehr mit, das ich eigentlich nicht hergeben durfte. Ich musste dann seine Pistole suchen gehen, die er irgendwo vergessen hatte. Eines Nachts hatten wir plötzlich Besuch durch Feldmarschall Rommel (Wüstenfuchs). Es gab keinen Alarm, denn der sagte, das die Soldaten weiter schlafen sollten, sie werden noch lange genug auf sein müssen.

Da mein Zugführer Offiziersbewerber war, musste er öfter zum Offiziersabend nach Ostende, davon kam er immer feuchtfröhlich zum Stützpunkt zurück.



Auch "Dieses" gab es in Ostende (G. Templin)

Auch meine Zeit zum Lehrgang rückte immer näher, aber dazu brauchte ich ein politisches Führungszeugnis, das die Kompanie von Deutsch Eylau anforderte. Als es vom Parteibüro kam, musste ich zum Kompaniechef, der mir sagte, mit so einem Zeugnis könnte ich nicht Offizier werden und was ich verbrochen habe! Er nahm das Zeugnis und zerriss es vor meinen Augen und sagte: "Ihr Zeugnis schreibe ich". Ich hatte vor der Einberufung zur Wehrmacht Differenzen mit dem Bürgermeister Milz wegen seines Sohnes. Dieser Bürgermeister war es auch, der die Stadt viel zu spät räumen ließ, als die Russen bereits vor der Stadt standen und hineinschossen.

Aber zurück zu unserem Stützpunkt. Wir hatten immer einen warmen Raum, denn ich hatte gute Beziehungen zu einem Entgiftungsraum mit einem Nachschlüssel, da lagen eine Menge Kohlen. Der Kommandant suchte immer den Kohlenklau, aber wärmte sich trotzdem bei uns. Ja, Soldat sein, heißt auf Draht sein.

Es gäbe noch sehr viel zu berichten. Als die Invasion begann, kam der Oberfeldwebel zur Kriegsschule und wurde bald Offizier. Wir kamen in die Normandie.

Ich kann nur sagen, dass ich gute Vorgesetzte hatte. Es war das Dreigestirn aus der Heimat Deutsch Eylau, die heute leider schon alle verstorben sind. Vielleicht leben aber die Nachfahren noch.


Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.