Sommertage am Geserichsee
von
Gerhard Templin
Bearbeitung:
C. Mühleisen
Mehrere
Meilen erstreckte sich der Geserichsee von Deutsch Eylau nordwärts,
bald stromartig schmal, bald breit und weit, schimmernd und glänzend in
der Sommersonne. Die Bauern des Dorfes Schalkendorf blickten von ihren
hohen Ufern auf den See hinab und sahen drüben auf dem Westufer die
Buchen der Forstreviere Feldchen und Lannoch des Schönberger Forstes
wie eine grüne Mauer. Die Bäume standen überall dicht am Wasser,
warfen ihr Bild hinein, und viele beugten sich darüber, um in den
Spiegel des Sees zu schauen. Manchmal verlor eine Buche das
Gleichgewicht und lag hernach tot und gebleicht im flachen Wasser des
Seerandes.
Schalkendorfer
Breite
Eine vielverbreitete Ansicht besagte früher bei den
damaligen Westmenschen im Altreich: Wir hätten sieben Monate Winter und
fünf Monate auch keinen Sommer. Dafür haben wir nur ein mitleidiges
Lächeln gehabt. Vor dem Krieg galt die Versetzung eines Beamten oder
Offiziers gen Osten nicht mehr und nicht weniger als eine
Strafversetzung. Wer aber längere Zeit bei uns gewohnt hat, war mit uns
gleicher Meinung. Es gab wohl kaum ein gesunderes Klima als das unsere.
Der Frühling war im Westen wohl drei Wochen früher, dafür hatten wir
aber einen kraftvollen Sommer. Wir kannten nicht dieses wochen- und
mitunter monatelanges Niesel-, Nebel- oder Regenwetter. Wenn es bei uns
regnete, dann war es gründliche und dann war Schluss.
Unsere
jüngeren Landsleute können sich den Zauber dieser Landschaft mit den
vielen Seen kaum vorstellen. Weite blitzblaue Seen erstreckten sich
zwischen den dunkel bewaldeten Hügeln und den großen Kartoffel- und
Getreidefeldern und den vielen Wäldern. Die Seen sind neben den Hügeln
und den Wäldern das Charakteristische dieser Landschaft und für mich
auch das Schönste.
Wer wie ich unmittelbar am See aufgewachsen
ist, der wird die heiße Liebe kennen, die man zu so einem Wasser haben
kann. Diese Seen haben etwas Weites, Großzügiges an sich, so dass man
die Erdenschwere vergessen kann, und sie wirken doch auch wieder so
still, so beruhigend. Die Nord- und Ostsee, die einen noch so
überwältigen kann, vermag diesen Eindruck nicht zu ersetzen. Das
Wasser unseres Geserichsees, das nie tot ist, ist doch beständig wie
nichts anderes. Unser See ist immer an der gleichen Stelle, wenn wir ihn
jährlich besuchen.
Geserichsee
bei Lannoch
Aber ich will von den glücklichen Zeiten an
unserem See erzählen, von den strahlenden Sommertagen, an denen schon
am frühen Morgen die Rohrsänger in dem dichten Schilf an den Ufern
ihre "Kerre-kerre-kies" ertönen ließen. Dann hatten die
Blesshühner, ja selbst die scheuen Taucher noch freie Bahn, und still
ließen sie sich auf den Wellen schaukeln, bis sie plötzlich im Wasser
verschwanden, um an einer anderen Stelle wieder aufzutauchen.
Den
Tag über war das größte Vergnügen von uns Jungens, kleine Steine
hinter den Tauchern herzuwerfen, wenn diese mal in die Nähe des Ufers
kamen, bis sie wirklich untertauchten. Es war Ende Juli, die Hundstage
hatten bereits begonnen, wie man bei uns sagte. Wir machten einen
Bootsausflug in Richtung Liebesinsel. Die 3. Ablage mit den vielen
Flößen war uns zu gefährlich, da bei Sonnenschein sehr oft sich die
Kreuzottern oder Ringelnattern tummelten. Auf der Liebesinsel konnte man
sich schön sonnen und auch baden.
Wir bestiegen zwei Paddelboote
am Bootshaus Eberbeck am Eylenzfluss. Es war noch Vormittag und wir
hatten strahlendes Sonnenwetter. Wir fuhren an Fichtenort vorbei. Der
Wald ist hier tief in den See hineingewachsen, und das Wild steht hier
in solcher verwunschenen Ecke. Über uns zieht eine große Rohrweihe
ihre Kreise. Vorher haben wir noch ein großes Seeadlernest an der
"Faulen Brücke" gesehen, alle diese stolzen menschenscheuen
Gesellen. Auch die Sauen haben ihren Kessel im moorigen Grund der
Halbinsel Fichtenort, das im Sommer kühlt und im Winter offen bleibt.
Die vielen Schwäne liegen wie Schnepfen auf dem Wasser und die
Blessenten zanken sich mit den vielen Enten, die im Schilf vor der
Halbinsel wohnen.
Wir waren inzwischen mit unserem Paddelboot,
der guten "Liese Lotte", wie es hieß, an der Liebesinsel.
Hier konnte man sich im Boot ruhig treiben lassen oder ganz still
liegen. Man hörte dann nur das Gluckern der Wellen, die gegen das Boot
schlugen und höchstens einmal den Schrei einer Möwe. Wenn man Glück
hatte, konnte man den scheuen Eisvogel in seinem bunten Kleide am Ufer
vorbeihuschen sehen. Hier auf dieser Insel hatte der Anglerverein eine
Schutzhütte errichtet, die sehr schön angelegt war. Davor war eine
schöne Wiese mit einem Anlegesteg für Boote. (Leider ist sie heute
restlos verwildert und von der Hütte sieht man nichts mehr). Wir
machten unsere Boote fest und sprangen in das klare Wasser, und nie
wieder habe ich so herrlich schwimmen können wie in unserem Geserichsee,
wo es keine Grenzen gab und wo man nur den Himmel über sich sah und das
kühle Wasser um sich spürte.
Die
Liebesinsel im Sommer 1993
In den Buchten konnte man unter
den alten bemoosten Steinen am Ufer Krebse mit der Hand fangen. Das
machte großen Spaß, wenn es auch immer etwas unheimlich war.
Kann
man jene Sommerabende vergessen, an denen der Gesang der Dorfbewohner
oder der Zeltlagerinsassen vom See herüberschallte, während am Ufer
die "Poggen" ihr Quarkkonzert begannen und die Nachtigallen
erst leise und dann immer lauter in den Erlen schlugen? Die Sonne war
gerade im Wasser untergetaucht und hatte vorher noch einmal die alten
Kiefernstämme mit ihrem leuchtenden Rot übergossen, dass man meinen
konnte, sie ständen in Flammen. Wenn nun noch die Enten watschelnd und
schnatternd vom Wasser gekommen waren, begann der friedliche Abend. Der
leichte Wind brachte einen zarten Geruch nach Kalmus und Entenflott ans
Ufer.
Sonnenaufgang
bei Klein Zoppot um 4 Uhr morgens
Besonders interessant war der große See, wenn jene starken
Gewitter tobten, die es bei uns an sehr heißen Tagen gab. Schon vorher
kündete der Pirol mit schrillem Ruf das Unwetter an, und nun war
plötzlich Bewegung in dem noch so ruhigen See. Die Weiden tauchten ihre
untersten Äste tief in das Wasser, und der Wind fegte durch das Schilf.
Blitz auf Blitz sauste in das graue schäumende Wasser. Wenn das
Unwetter vorbei war, kam auch die Sonne wieder zum Vorschein und der See
war wieder wie ein Spiegel. Und jedes Mal, wenn ich Deutsch Eylau
verlasse, gehe ich zum See, stehe am Ufer und atme die Nase voller
Seeluft ein.
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und
Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa
Mühleisen übertragen.
|