Sonnenwende im Kreis Rosenberg

von Gerhard Templin

Bearbeitung C. Mühleisen

Frisch und kräftig klingen die Stimmen der jungen Scharwerker vom hochbeladenen Heuwagen, der eben in das Dorf einbiegt. Sie haben vom frühen Morgen an bis zum Spätnachmittag emsig gearbeitet, um das würzige Heu der Wiesen trocken einzubringen, denn am Himmel sah es bedenklich aus. Alle Anzeichen deuten auf kommende Regentage.

Der alte Hofmann des Gutes richtete zuweilen besorgte Blicke zum Himmel, seine schweißtriefende und durstige Schnitterschar immer wieder ermunternd: "Lustig Kinder, es grollt all' und ihr wißt, heut' s ist Johanni (Sommersonnenwende) und je eher wir' s schaffen, desto eher ist Feierabend." Dann wurde es wieder lebendiger in dem Gewimmel der hellen Kopftücher der Mädchen und weißen Hemdsärmel der Männer. Die Harken und Heugabeln rührten sich schneller.



Heuernte vor dem Krieg (G. Templin)

Die drohenden Gewitterwolken haben sich aber verzogen und das letzte Heubündel ist auf den Wagen geflogen und verstaut. Jetzt haben sie schon wieder Scherzworte und Lieder auf den Lippen. Schnell wird noch ein Trunk aus dem Krug mit kaltem Kaffee oder ein Schluck Wasser aus der Flasche genommen, dann geht es heimwärts.

Ein in die Radspeichen gezwängtes Klapperholz kündet das Nahen des letzten Fuders schon von weitem an und hinter den Dachluken, an denen es vorüberkommt, stehen Gefäße mit Wasser bereit, um es nach altem glücksbringendem Brauch gehörig zu begießen. Natürlich bekommen die Begleiter des letzten Fuders nicht zu wenig von dem nassen Segen ab, und das helle Kreischen der Mädchen vermischt sich mit dem lustigen Lachen der Attentäter. Dann geht es munter an das Abladen, man hat noch viel vor heute Abend; die Johannisfeuer sollen lodern, und zum Schluss spendet der Gutsherr den fleißigen Schnittern gewiss einen kühlen Trunk zum fröhlichen Beisammensein.

Langsam dämmert der Abend herauf. Die Zeit der weißen Nächte ist gekommen und gießt ihren köstlichen Zauber über die Sonnenwende. Es ist ein lauer Sommerabend. Akazien und Linden streuen süßen Duft in die Nacht. In das schrille Singen der Heimchen mischt sich behagliches Froschquaken und wehmütiger Unkenruf. Sehnsüchtig locken Nachtigallenlieder aus den Uferweiden und Erlen des nahen Sees. Fledermäuse huschen lautlos durch die Luft und Nachtfalter taumeln über weiße Blüten. Im Dunkel der Uferränder ziehen Glühwürmchen ihre Kreise. Ein behäbiger Igel raschelt durch die Hecke und hastet über den Weg. Es huscht kichernd durch die Büsche, es flüstert hinter den Zäunen.

Was sucht dort das Mädchen auf dem grünen Wiesenpfad? Neunerlei Kräuter sind es, die ernsthaft und schweigend gepflückt und unter das Kopfkissen gelegt, die Träume der Johannisnacht wahr machen, aber man muss fest daran glauben.

Auch das Kranzorakel ist bei den jungen Mädchen beliebt. Man wirft mit stillem Wunsch oder heimlicher Frage ein selbstgewundenes Kränzlein nach einem Baume, je nachdem es hängen bleibt, herab fällt oder zerreißt, kann man sich nun Glück oder Kummer herausdeuten.

Ein gutes Stück vom Dorf entfernt liegt auf der Wiese der von alten Sagen umgeisterte Mühlenberg. Einst stand dort eine Windmühle. Sie brannte in einer stürmischen Herbstnacht nieder und wurde nicht wieder aufgebaut. Der Berg mit seinen umbüschten Hängen und der halb erstorbenen Kiefer gilt als nicht geheuer. Heute wird ein Sonnenwendfeuer dort brennen. Auf hohen, in die Erde gerammten Pfählen wird eine mit Stroh und Werg ausgestopfte Teertonne errichtet. Darüber werden Holz und Strauchwerk gestapelt. Feuerbänke recken sich auf, bald flackern sie hell auf, streuen Funken über das Feld und werfen ihren Flammenschein weit in das Land. Ringsum auf dem grünen Plan ist alt und jung versammelt, und es geht dort recht fröhlich zu mit Singen, Tanzen und Harmonikaklängen, bis die letzten Reste des Feuers herabsausen und verglimmen.

Mehrere junge Burschen haben die fest mit Stroh umwickelten Spitzen langer Stöcke am Johannisfeuer entzündet  und stellen nun einen Wettlauf damit an. Wer zuerst mit dem brennenden Strohwisch ans Ziel gelangt, bekommt als Johanniskönig einen Busch an den Hut gesteckt. Man springt auch paarweise über das niedrig brennende Feuer.

Während nun in den Dörfern die laute Fröhlichkeit verebbt, entfaltet sich am Geserichseeufer in Deutsch-Eylau geschäftiges Treiben. Ketten rasseln und Ruder poltern am Eylenzfluss und an den Anlegestegen der Boote. Sie lösen sich von den Stegen und fahren mit ihren lustigen Insassen auf den matt schimmernden See hinaus in Richtung Gr. Werder mit dem Scholtenberg. Es sind Angehörige der Sportvereine unter reger Teilnahme der Stadtbevölkerung, die am Fuße des Scholtenberges ihre Sonnenwendfeier begehen.

Es ist eine heilige, weihevolle Stunde, wenn das Feuer gegen den nächtlichen Himmel lodert und die Turner und Freunde andächtig im Kreise stehen, Hand in Hand in treuer Geschlossenheit. Alte Volksweisen ertönen und ernste, feierliche Worte formen sich zum Treueschwur. "Zu leben und zu kämpfen für das Vaterland." Wach steht über allen der alte heidnische Geist der Ahnen, der gerade hier auf dem sagenumwobenen Scholtenberg mit der alten prußischen Fliehburg vorhanden ist. Graue Vorzeit grüßt uns im Sonnenwendfeuer, alter Brauch blüht aus seinen Flammen auf.



Sonnenwende Juni 1992 in Karrasch bei Dt. Eylau

Über den See ist das Pfeifen eines Zuges zu hören. Die Mitternachtsstunde naht. Versunken sind die Flammen, verklungen die Lieder. Einsam liegt wieder der Scholtenberg, aber das geheimnisvolle Weben der Sommernacht geht weiter und lässt nicht Ruhe finden. Am Horizont hinter dem dunklen Wäldermeer an der Rosenberger Chaussee flammt es zuweilen wetterleuchtend auf, und in eines Käuzchens schrilles Rufen mischt sich fernes Dornergrollen. Von  der gegenüberliegenden Uferseite mit Schrebergärten neben dem Sägewerk Seifert trägt der laue Nachtwind Duftwellen von Rosen, Jasmin und Holunder herüber. Warum nicht diese Fülle, diese Schönheit und Klänge noch genießen?

Copyright: Gerhard Templin & Christa Mühleisen