Tante Emmas Kaufmannsladen
Erinnerungen
an den Kreis Rosenberg
von
Gerhard Templin
Bearbeitung: C. Mühleisen
In
fast allen Dörfern und Städten unseres Heimatkreises Rosenberg gab es
einen Kaufmannsladen, in den Städten fast an jeder Ecke. Wo sind sie
geblieben, diese wunderbaren Läden, die in meiner Jugendzeit in den
dreißiger Jahren überall zu finden waren? Sehr oft waren diese auf dem
Lande mit einer Gastwirtschaft und Tanzsaal verbunden. Hier soll von so
einem die Rede sein. Unsere Tante hieß tatsächich Emma und der Onkel
Franz.
Zu Beginn der Sommerferien wurde ich vom Bahnhof des
Nachbardorfes mit Pferd und Wagen abgeholt. Bei der Tante angekommen gab
es das große berühmte ostpreußische Knutschen, dass man keine Luft
bekam. Da ich kein großer Freund der Knutscherei war, lenkte ich zur
Besichtigung des Ladens ab. Was gab es dort alles zu sehen? Ich wollte
wissen, ob die Gurkentonne immer noch dicht an der Tür stand.
"Willst wohl wieder eine schnell beim Rauslaufen stibitzen,
was?", lachte die Tante und als ich ihr darauf bejahend
zuplinkerte, grinste sie schadenfroh: "Angescheeten, das steht die
Heringstonne und das Sauerkrautfass, da wirst du Krät nicht so oft
reingrapschen!"
Tante
Emmas Laden (G. Templin)
Der Laden war meine Leidenschaft. Was gab es
da nicht alles zu kaufen und zu sehen. Mehl, Rosinen, Mandeln, Seife,
Schnürsenkel, Hosenträger, Kautabak, Zigarren, Briefpapier,
Schulhefte, Tinte und Federn (denn in den ersten Grundschuljahren
mussten wir alles in Sütterlin bzw. deutscher Schrift schreiben),
Käse, Knöpfe, Lockenwickler, Besen, Küchenmaterial, Fliegenfänger
(wer kennt nicht diese klebrigen Streifen), Wundertüten und
Gummipuppen, die man so schön lang ziehen konnte und Stundenlutscher.
Die Tante hatte auch Brausepulver für zwei Pfennige, das man in eine
Flasche mit Wasser schüttete. Wenn man keinen Patentverschluss hatte,
flog der Korken durch den Überdruck 'raus. Auch Lakritze in allen
Ausführungen war da. Wurst, Eier und Schinken durften nicht fehlen,
auch die gute Margarine "Blauband" lag schon säuberlich im
Fach. Da es in den Dörfern noch kein elektrisches Licht gab, hatte man
Petroliumlampen zur Beleuchtung, deshalb roch es in einer Ecke des
Ladens immer danach.
Aber auch ich wurde beschäftigt. Ich durfte
im Laden die Gurken oder Salzheringe abzählen. Dann wetzte ich vom
Laden in die Kneipe und musste das Bier zapfen. Ich musste die
Schaumkrone auf dem Bier richtig anpassen. Auch die Zigarren für den
Tierarzt mussten richtig abgeknipst werden. Allmählich wusste ich, was
jeder trank. So trank der Fischer, ob Sommer, oder Winter, immer einen
Grog und der Gemeindevorsteher trank grundsätzlich sein Bier aus einem
Humpen. Als kleines Dankeschön erhielt ich ein Glas Braunbier oder eine
Handvoll Pracherbonbons oder Glasbonbons, die immer schmeckten. Auch die
einkaufenden Kinder erhielten eine kleine Tüte mit diesen Bonbons. Wenn
einer der Jungens etwas mopsen wollte, so bekam er einen Schlag mit der
Fliegenklatsche auf die Hand.
Die jungen Mädchen kamen ganz
sittsam in den Laden, schön gekämmt und mit Schleifchen im Haar,
saubere Schürze um und im Sommer meistens auf
"Holzschlorren", wie es auf dem Lande üblich war (vornehme
Leute sagen heute noch Holzpantinen). Später begann die Zeit der
Sandalen, die die Kinder trugen. Sie holten ihre Waren meistens mit
einem Kontobuch, das am Monatsende beglichen wurde.
Gegenüber
vom Laden war die Schule und auch die Kirche. Die Kinder holten sich in
der Pause für fünf Pfennige Kakao bei uns. Auch die Erwachsenen holten
sich in Milchkannen literweise ihre Milch oder Muttermilch. Gleichzeitig
war auch hier die Eiersammelstelle für das ganze Dorf. Die Eier gingen
dann gestempelt in Richtung Altreich, wie auch alle landwirtschaftlichen
Erzeugnisse Ost- und Westpreußens, denn wir waren die Kornkammer des
deutschen Reiches.
Im Winter hing vor dem Laden immer Wild zum
Verkauf und zum Weihnachtsfest Tannenbäume und Weihnachtsdekorationen
wie Kugeln und Lametta usw. Nicht zu vergessen sind die Dittchenangeln,
die man für zehn Pfennige erhielt. Man suchte sich eine Haselnussrute.
Die Schnur war schon fertig mit Blei, Schwimmer oder Plowek, wie wir
sagten, Gimm und Haken. Hauptsache die Fische bissen.
Wer denkt
da nicht an die Imker, denn Honig gab es in Mengen, daraus wurde dann
öfter der gute Bärenfang hergestellt. Es war nur reiner Bienenhonig,
den die Tante hatte, und keine Importware. Meistens war der Lehrer im
Dorf auch Imker.
Bei
Onkel Franz in der Kneipe (G. Templin)
Beim Onkel in der Kneipe gab es Bier vom Fass,
Berliner Weiße, Limonade, Selter, Wein und die harten Sachen: Klarer,
Bärenfang, Weinbrand, Pillkaller, Wodka, Danziger Goldwasser und
Kurfürstlicher Magenbitter. Der Onkel erzählte mir, dass eines Tages
ein Gast hereinkam. Er ging an die Theke und bestellte einen Kurfürst.
Der Onkel besah sich den Neuen, griff zur Flasche und fragte: "E
großem oder e kleinen?" Verwundert sah der Gast ihn an und meinte
dann bloß: "Mensch, wo sind Sie inne Schul' gegangen? Haben Sie
mal was vom Kleinen Kurfürst jelernt?"
Viel zu schnell
verging die Ferienzeit und bald war der Abschied da. Vollgepackt mit
Lebensmitteln und Süßigkeiten ging es zum Bahnhof. Es folgte wieder
das große Knutschen. Überall begann jetzt die Erntezeit und bei
strahlendem Himmel ging es heimwärts zu Muttern.
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen
von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.
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