Ferien an meinem Traumsee
von Gerhard Templin
Bearbeitung
C. Mühleisen
Vor
einiger Zeit hatte ich eine Besprechung bei einer Kundin, eine
Zahnärztin, zwecks Arbeiten in ihrem Hause. In ihrem Wohnzimmer sah ich
einige Bilder, die mir sehr bekannt vorkamen. Es war der Geserichsee.
Sie lachte und sagte, dass sie dort einige Male ihre Sommerferien
verbracht hat. Bei einer Tasse Kaffee erzählte sie mir von ihrem ersten
Segeltörn im Jahr 1935 auf dem Geserichsee wie folgt:
Wir waren
vier Studenten und kannten uns schon von unserem gemeinsamen Studium aus
Berlin. 1 Rheinländer, 1 Berliner, 1 Ostpreuße und ich, als einzige
junge Frau aus Hannover. Es war ein Wochenende und Geld hatten wir alle
nicht viel und schon gar kein Auto, wie es heute fast alle Studenten
haben. Durch den Rheinländer war eigentlich die Sache aufgekommen. Er
schwärmte, als man wieder die väterliche Weinkiste auspackte, von
seiner Koblenzer Heimat und ließ dabei einfließen, er sei zwar noch
nicht aus Koblenz herausgekommen, müsse aber annehmen, das Land herum
bestünde nur aus Kuhweiden, Äckern und Walddickichten. - Der
Berliner begann sogleich seine märkischen Seen zu preisen und da ihm
der Wein schnell zu Kopf stieg, trank er unausgesetzt auf die schönen
Nixen des Wannsees. So etwas haben wir auch, sagte unser ostpreußischer
Kommilitone. Eure Rheinkulisse in Ehren und der nixengefüllte Wannsee
auch, aber ich will euch die Landschaft zeigen, die noch ursprüngliche
Züge trägt. Sie mag nüchterner scheinen als eure Heimat, aber dafür
ist sie noch ursprünglich. Ich meine das Oberland. Meine Eltern haben
uns schon öfter eingeladen und so wollen wir doch einmal die Einladung
annehmen.
Bei herrlichem Sonnenschein fuhren wir mit dem Zug bis
Saalfeld und wurden dort mit der Kutsche, die ein hübsches blondes
Mädchen fuhr, abgeholt. Es war die Schwester unseres Kommilitonen. Wenn
es nach den Männern gegangen wäre, hätte die Fahrt ewig dauern
können. Es war Nachmittag, über den blauen Himmel zogen vereinzelt
watteweiße Wolken. Am Wegrand blühten gelbe Katzenpfötchen und
tiefblaue Glockenblumen. Großblütige Disteln standen in zartem Lila
vor Adlerfarnen und Brombeergesträuch. Man hörte nur das Mahlen der
Räder, das Schnauben der Pferde und dann und wann den Ruf eines
Bussards und den Schrei eines Hähers. Dann trabten wir zwischen
Ebereschen dem Dorf zu. Wir wurden auf dem Bauernhof schon erwartet.
Beim Kaffeetrinken meinte der Vater unseres Freundes, dass er in seiner
Jugend mehr gefuttert hatte. Aber frischer Apfelkuchen auf mehreren
Tellern, selbstgebackenes Brot und goldklarer Honig und auch belegte
Brote, solchem Aufgebot war nicht beizukommen. Zudem hatte der
Rheinländer kläglich versagt. Anstatt zu essen, hatte er immer wieder
Gespräche mit dem blonden Mädchen geführt.
Anschließend ging
man durch den Obstgarten. Dieser grenzte an den Ewingsee. Enten und
Taucher zogen silberne Linien in seine Fläche, ein Reiher glitt am Ufer
entlang. Niemand sprach, nur der Rheinländer machte seinem Herzen Luft
und sagte, dass er hier bleiben würde.
In dieser Nacht wurde
wenig geschlafen, der Berliner hatte dem Bärenfang zu sehr
zugesprochen, er musste öfters außer Hause gehen, und der Rheinländer
saß am Fenster und sah in die Mondnacht, der Rest spielte Karten.
Für den nächsten Tag wurde ein Segeltörn auf dem Geserichsee
beschlossen.
Der
Weinsdorf-Kanal aus Richtung Saalfeld kommend, vor der Einmündung in
den Geserichsee (G. Templin)
Schon sehr früh brachen wir auf und fuhren durch
den Weinsdorfkanal (3 km). Wir hatten wohl einen Hilfsmotor, aber wir
stakten durch die enge Wasserstraße. Ich machte den Steuermann. Es
machte riesig Spaß, denn stellenweise ragten die Zweige über diesen
Wasserweg. In Weinsdorf kamen wir in den Geserichsee und eine leichte
Brise trieb uns gut voran.
Hier
mündet der Weinsdorfkanal in den Geserichsee (G. Templin)
Die Mittagszeit war schon vorüber
und unser Magen machte uns darauf aufmerksam, dass wir bald essen
mussten. Auf der linken Seite lag das Dorf Weepers und schräg
gegenüber Schwalgendorf, aber Weepers lag näher. Nachdem wir das Boot
am Steg befestigt hatten, begaben wir uns in das Gasthaus.
"Weepers" Dampfer mit Anlegesteg und Gasthaus
Krause, vormals Jahns - vor dem Krieg (G. Templin)
Im Garten kam
uns ein großer Mann entgegen, es war der Wirt des Hauses. Wir dachten,
der wird unseren Hunger wohl stillen können. Obwohl es schon reichlich
spät war, fragten wir ihn, ob wir wohl noch eine Mittagsmahlzeit
erhalten könnten. "Nei," sagte er, "is nuscht mehr
da," der Ruderclub aus Saalfeld hat hier jetagt, und die haben
allens aufjejessen."
Das war, da wir kein Mittagsbrot
mitgenommen hatten, recht schmerzlich für uns. Wir setzten uns erst
einmal und baten um eine Ansichtskarte. "Die haben wir nicht",
sagte er, "die einzige Ansicht hier bin ich." "Wir
können Sie doch nicht als Ansichtskarte verschicken." Darauf
er: "Aber ja, ich je in jeden Briefkasten." Wir wollten nun
hören, ob der Ruderclub wirklich alles aufgegessen hat. Da bewegte sich
dieser 3 Zentner-Mann langsam in die Küche, um nachzufragen. Nach einer
Weile kam er wieder mit der Meldung: "Ja, e bisschen is noch da,
aber das langt man allerheechstens bloß für zwei." Ich eröffnete
ihm: "Das ist ja herrlich, wir sind vier Personen, da essen wir eben
jeder eine halbe Portion." Langsam ging der Riese wieder ins Haus. Wir
warteten und warteten. Nichts rührte sich. Als ich mich schließlich
ungeduldig erhob, um mal nachzuhören, ob wir noch etwas zu essen
bekämen oder nicht, da kam der Wirt in der gleichen Ruhe wie bisher auf
uns zu und forderte uns zum Essen auf: "Kommen se man rin, is alles
fertig."
Wir fanden im Haus eine gedeckte Tafel. Wir
trauten unseren Augen nicht, was uns da als vier Personen aufgetischt
war!
Für jeden drei große Stücke Aal, reichlich prachtvolle
Dillsoße und ein Berg Kartoffeln. Wir konnten uns ordentlich satt
futtern. Der große Mann verschwand dann nach der Aufforderung zum
Essen. Dafür kam aber sein kleines Frauchen und ließ sich auf einen
Stuhl nieder und knüpfte mit uns eine Unterhaltung an. "Na
schmeckt' s Herrschaft? Is all e bissche wenig, vom Ruderclub is nich
mehr ibrigjebliebe." Wir beruhigten sie und sagten ihr aus voller
Überzeugung, dass das Essen ganz vorzüglich wäre. "Na, denn is
ja man scheen", erwiderte sie und fügte hinzu: "Hier kommen
auch immer so viele auße Stadt auf Sommerfrische und wollen sich
erholen und sehen doch alle rund und dick aus. Se essen auch alle
tichtig. Und dann laufen se, und dann schwitzen se, se missen sich
erholen. Ach du liebes Gottche, ich mecht bloß wissen von was, vons
Fätt?"
Während dieser Betrachtung über das Los der
Sommerfrischler hatten wir unser üppiges Mahl verzehrt, und da fragt
sie uns: "Wollen die Herrschaft noch e bissche Supp?" Obwohl
wir von der halben Portion schon reichlich satt waren, antworteten wir
nicht mit nein. Und was war das bissche Supp? Ein tiefer Teller voller
Fruchtsuppe mit einem riesigen Stück Flammerie. Das schmeckte so
schön, dass wir auch davon nichts übriggelassen haben. Nun konnten wir
verstehen, dass die Sommerfrischler bei solch üppiger Kost und bei
"ganzen Portionen" natürlich "noch fetter" werden
müssten. Nun waren wir gespannt, was das Essen kosten würde. Das
kleine Frauchen war, nachdem es uns das "bissche Supp"
gebracht hatte, verschwunden, und zum Bezahlen erschien der riesige Mann
und verlangte von uns 1,30 Reichsmark pro Kopf, mehr war das nicht.
Früher war
hier eine Furt "Weepers-Buckowitzwerder" 60- 80 cm tief. Es war
ein Fluchtweg der alten Prussen mit Flieburg. Um 1930 wurde die Furt
zugeschüttet und hat heute schon große Bäume. Mit freundlicher
Genehmigung von Herrn Dr. Radzimanowski, aus dem Buch "Wir vom
Geserich."
Wir
fuhren dann weiter in Richtung Deutsch Eylau, übernachteten in der
Preußenhütte, besuchten das Strandbad und die herrliche Stadt Deutsch
Eylau. Es wurde uns schwer, ins Semester nach Königsberg
zurückzukehren. Als wir das Studium beendet hatten, kehrten wir alle
Jahre wieder zurück, um einige Tage Ferien zu machen, zumal ich
inzwischen geheiratet hatte und unser Rheinländer dort eingeheiratet
hat und mit der blonden Ostpreußin eine glückliche Ehe führte.
Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und
Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa
Mühleisen übertragen.
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