Auf, auf, ihr Wandersleut'--!

von Gerhard Templin


Bearbeitung: C. Mühleisen


1931 wurde ich in die Stadtschule Deutsch Eylau eingeschult, dabei ahnte ich nicht, dass ich einen strengen Lehrer bekomme. Das A und O war bei ihm die Pünktlichkeit und Sauberkeit, eigentlich sämtliche preußischen Tugenden, die es gab. Wir waren eine Klasse mit 50 Jungen und hier verlebte ich meine 4 Grundschuljahre. In unserer Altersklasse gab es noch eine Mädchen- und eine gemischte Klasse. Es war damals die größte Schule in Preußen. Unser Lehrer hatte in der Schule den Namen "Osterhase", er sah auch so aus. Wenn wir einmal träge in den Bänken saßen, dann holte er seinen Fiedelkasten vom Schrank (Geige). Die Fenster wurden geöffnet und wir mussten singen. Auf der Straße blieben die Leute stehen und lauschten unserem Gesang. Auch beim Spaziergang mussten wir fleißig singen, aber davon später. Unser "Osterhase" gehörte noch zur "Rohrstockgeneration." Schönschreiben, Sütterlin und Lateinschrift waren seine Hobbys. Nach dem 1. Schuljahr mussten wir alle lesen und schreiben können. So gab es für eine drei einen Schlag auf die linke Hand, bei einer vier links und rechts und bei einer fünf musste der Hosenboden hinhalten. Eine sechs gab es damals noch nicht. Die Schläge waren aber harmlos. Allmählich haben wir seine Stöcke entfernt, aber dann ließ er nachsitzen. Trotzdem haben wir bei ihm viel gelernt.



Unsere Klasse mit dem "Osterhasen" (G. Templin)

Da bei uns die Sommer sehr konstant waren, gab es meistens ab 10:00 hitzefrei oder unser Osterhase machte mit uns einen Spaziergang, der natürlich mit Heimatkunde verbunden war. So wurden später Heimatkunde und Geschichte meine Hobbys. Eines Tages machten wir mit der gleichaltrigen Mädchenklasse einen gemeinsamen Ausflug. Unsere Pädagogen gingen vorne weg. Unser Osterhase und die Lehrerin, er mit dem Krückstock, dann kam die Mädchenklasse und dann wir in Dreierreihen. Es ging alles recht sittsam zu. Wir brauchten keine Aufpasser (Eltern).

Natürlich marschierten wir mit Gesang. Meistens fingen wir mit dem Lied: "Im Frühtau zu Berge" an. Am kleinen Geserichsee ging es entlang, der in der Nähe der Schule lag. Hier schnatterten die vielen kleinen Entchen und die Schwäne begleiteten uns und erhielten einige Brote von uns. Am Uferrand blühten viele Blumen und die Stadthallenanlagen waren wunderschön bepflanzt.

Wir gingen zum Schützengraben an der alten Ordenskirche (600 Jahre), wo unser Lehrer seine gruseligen Geschichten über die alten Prussen und Ordensritter erzählte, man träumte davon nachts. Weiter ging es über die Geserichseebrücke zum Strandbad. Auch hier erzählte er von Ausgrabungen und dass dieses Gebiet früher "kleines Werder" genannt wurde. Dieses Mal hatte unser Osterhase etwas besonderes vor. Wir fuhren mit der Wagenfähre, die mit Handbetrieb war, zur Insel Gr. Werder mit dem Scholtenberg. Hier war ein kleines Gut von ca. 360 Morgen.



Fähre mit Normalbesetzung (G. Templin)

Der Fährmann brachte uns wohlbehalten zur Insel. Eine Kuhherde graste friedlich auf einer Koppel. Wir gingen auf der alten Heerstraße, die über die Insel und "Faule Brücke" nach Saalfeld ging. Die alten Kopfsteine sind noch vorhanden. Vor der alten Gaststätte  machten wir Pause. Wir packten unser Frühstück und Getränke (Milch oder Limonade) aus und es wurde ordentlich gegessen. Nach dieser Erholungspause ging es weiter zum Berg. Von hier hat man einen schönen Blick auf Deutsch Eylau. Warum die Straße so umständlich über die Insel angelegt war, ist mir nicht bekannt. Dt. Eylau zählte im Jahre 1806 - 1428 Einwohner, einschließlich Soldaten. Als es 1806 zu einem Krieg zwischen Preußen und Frankreich kam, zogen 74 146 Franzosen auf dieser Heerstraße nach Russland und zwar von Januar bis Dezember 1807. Die Stadt musste hohe Abgaben zahlen. Allein die Mälzer mussten 929 Tonner Bier und 101 Stof Branntwein umsonst liefern. Die Einwohner ernährten sich von Gras und Kräutern. Die Fischer mussten täglich frische Fische für die Offizierstische liefern. An Schlachtvieh musste die Stadt vom 22. März bis 12. Dezember 152 Ochsen, 189 Schafe und 20 Schweine liefern, insgesamt für 8 500 Taler. Dazu kamen noch Heu, Stroh und Futter für die Pferde.

Als Napoleons Zusammenbruch erfolgte, zog die Gegenseite durch das Land. Es waren vor allen Dingen Kosaken. Die Gemeinde hatte große Schulden. Es ginge zu weit, auf diese einzugehen. Später wurde auf der Insel noch eine Gaststätte gebaut, die bis in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bestand und später als Tagungsstätte und Freizeitheim genutzt wurde.



Gaststätte auf dem Scholtenberg (G. Templin)


Aber was wir nicht vergessen dürfen, viele Sagen umschwirren diese Insel von denen uns unser "Osterhase" am nächsten Tag in der Schule erzählte.

Die Sage vom versunkenen Schloss

Auf dem Scholtenberg erhob sich vor Zeiten ein prächtiges Schloss. Dort wohnte ein reicher Fürst. Er liebte Pracht und Glanz, und die weiten Hallen waren erfüllt von Höflingen und Dienern. Am Ufer des Sees schaukelten schmucke Fahrzeuge, mit bunten Wimpeln geschmückt, auf dem Wasser. Sie trugen vornehme Gäste von Nah und Fern herbei, denn täglich veranstaltete der Fürst rauschende Feste. Mit vollen Händen verschleuderte er seine Schätze und wenn er zuweilen mit seinen Freunden durch die Dörfer ritt, warf er sein Gold auf die Landstraße. Doch wollte er durch solch törichte Verschwendung nicht seinen armen Bauern helfen, sonder nur vor seinen Gästen mit seinem Reichtum prunken. Mit hohen Abgaben drückte er das Landvolk, denn nur bald waren seine Schatzkammern leer.

Nun wohnte einsam im Walde ein weiser Mann. Innige Freundschaft verband diesen mit dem Vater des Fürsten. Seinem klugen Rat verdankte das Fürstengeschlecht Macht und Reichtum. Im Volke allerdings meinte man, dass er geheimnisvolle Kräfte besäße und ein Zauberer sei. Mit Kummer sah er das wüste Treiben des Fürsten und suchte ihn, eines Besseren zu belehren. Als er aber erkennen musste, dass seine so gut gemeinten Warnungen in den Wind gesprochen waren, zog er sich ganz in seine Waldeinsamkeit zurück.

Der Fürst aber setzte sein leichtsinniges Leben fort, und bald kam der Tag, wo auch das letzte Goldstück zum Fenster hinausflog. Jammer und Not herrschten im Lande, das Volk seufzte unter einer gewaltigen Steuerlast. Still wurde es im Fürstenschloss, da keine prächtigen Feste winkten, blieben Gäste und Freunde aus. Durch die verödeten Hallen irrte der junge Fürst in finsteren Gedanken. Er sann darüber nach, wie er zu Reichtum gelangen könnte und nun gedachte er wieder des solange vergessenen alten Mannes im Walde, der seinem Vater so treulich geholfen hatte. Schnell bestieg er sein feuriges Pferd und jagte durch den Wald zum Hause des Alten. Laut dröhnte seine Faust gegen die Tür der kleinen Hütte: "Schaff Geld Alter!"

Der Greis öffnete die Tür und blickte mit ernsten Augen kummervoll den Fürsten an. "Mein Sohn, warum wolltest Du nicht hören guten Rat? Hättest du rechtzeitig von deinem Treiben gelassen, so ständest du heute nicht hier!" Nur an die Schmeichelreden heuchlerischer Höflinge gewöhnt, konnte der Fürst den Vorwurf des alten Mannes nicht ertragen. Heiß wallte ihm das Blut zum Herzen, und seiner selbst nicht mächtig, schmetterte seine Hand den Greis zu Boden. Blutüberströmt brach dieser wehklagend zusammen. Dann wandte der Wüterich sein Ross und jagte davon. Niemand hat ihn wiedergesehen. Die schweigenden Waldseen, die abgrundtiefen Sümpfe haben nicht mehr verraten. Zur selben Stunde, als die Freveltat geschah, sank das Schloss auf dem Scholtenberg in die Tiefe. Ruhelos aber irrt des Fürsten Geist in dunklen Nächten um den Hügel.



Das versunkene Schloss (G. Templin)

Wo vorher das Schloss stand, war später die Hinrichtungsstätte der Stadt.

Wir mussten am nächsten Tag einen Aufsatz vom versunkenen Schloss schreiben. Heute ist die Insel eine Oase der Ruhe. Wer heute in die Heimat fährt, muss einmal diese Insel besuchen. Angeblich will man eine Brücke zur Insel bauen, aber woher soll das Geld kommen? 

Das Nutzungsrecht der Urheberrechte an den Bildern und Aufzeichnungen von Herrn Gerhard Templin wurde an Frau Christa Mühleisen übertragen.