Das Gut Januschau / Januszewo 

 Teil 3


Am frühen Morgen des 20. Januar 1946 sah Hans Graf von Lehndorff zum ersten Mal nach dem Krieg den Park und das Gutshaus von Januschau wieder.

Die Gräber seiner Angehörigen waren  von Grabräubern geschändet, aber das liebe alte Haus stand noch unversehrt. Es war in der Zwischenzeit der Sitz der russischen Kommandantur.

Er machte sich auf den Weg, um im drei Kilometer entfernten Vorwerk Brausen, das früher seinem Großvater gehört hatte, ein Quartier zu suchen. Unterwegs traf er den alten Tiedke mit drei Januschauer Mädchen, die zur Arbeit fuhren. Bei dieser Gelegenheit erzählte man ihm, dass alle Januschauer, die noch lebten, sich in Brausen befanden. Der Treck war im vorigen Winter nur bis Stuhm gekommen, etwa 40 Kilometer weit. Die Mutter des Grafen und sein Bruder Heinfried waren dort von den Russen erschossen worden. 

Am nächsten Tag kam Graf Hans beim alten Förster und seiner Familie unter. Das Forsthaus im Wald (Zollnick) war leider abgebrannt. Der Förster musste bei den Russen als Fallensteller und Holzhacker arbeiten und mit auf die Jagd fahren. Seine Töchter arbeiteten auf dem Gutshof,  die eine bei den Kühen, die andere im Hühnerstall des Kommandanten.

Am 22. Januar 1946 ging der Graf zum russischen Kommandanten ins Januschauer Gutshaus. Der Hof war durch ein hölzernes Tor abgesperrt, über dem ein Stalinbild angebracht war. Ein Teil der Russen bewohnte das vollständig erhaltene Gutshaus. Der Graf wurde dem Kommandanten vorgestellt, der damit einverstanden war, dass er dablieb und sich um die Kranken kümmerte.

Am Abend wurde ihm ausführlich von der Flucht erzählt. - Vor einem Jahr hatten  die Flüchtlinge Januschau mit ihrem Treck verlassen, die Kinder und die alten Leute im Wagen, alle anderen zu Fuß. Als man in die Gegend von Stuhm gekommen war, wurde ein Radfahrer nach Marienburg vorausgeschickt. Er sollte feststellen, ob die Aussicht bestünde, mit dem Treck über die Nogatbrücke zu kommen. Wegen des Andrangs der zahllosen Trecks auf die Brücke und weil sie glaubten, die Flucht wäre ohnehin sinnlos, beschlossen sie in einem Gutshof bei Altmark zu bleiben und auf die Russen zu warten.

Sie kamen am 25. Januar 1945 gegen Abend. In dem Durcheinander wurde Heinfried Graf von Lehndorff (1908 - 1945) mit dem Messer schwer verletzt. Seine Mutter konnte ihn noch notdürftig verbinden. Dann kamen andere Russen, fragten wer er sei und erschossen ihn dann zusammen mit der Mutter. Seitdem Graf Hans wusste, dass sie nicht mehr aus Westpreußen herausgekommen waren, hatte ihn der Gedanke an ihr mögliches Schicksal auf Schritt und Tritt verfolgt. Jetzt wusste er wenigstens, dass sie nicht lange leiden mussten. Außer ihnen waren noch 16 weitere Menschen aus Januschau erschossen oder verbrannt worden. Den Frauen erging es wie überall. Was an jüngeren Männern noch da war, wurde mitgenommen.

Der Förster konnte sich mit seiner Familie noch 8 Tage in einem abgelegenen Gehöft versteckt halten. Dann sind sie sehr ausgehungert zurückgegangen und durch den tiefen Schnee mit letzter Kraft in Januschau angekommen. Dort wurden sie mit vielen anderen zusammen in der Schule einquartiert, wo die Frauen wieder malträtiert wurden. Dann verwies man sie nach Brausen, wo sich allmählich die meisten Bewohner wieder einfanden. 

Am 7. April zog ein Teil der Russen nach Bellschwitz um. Wenn die Russen auszogen, nahmen sie normalerweise alles mit, was sie mitnehmen konnten, sogar die Fenster. Deshalb schickte man auch ein Mädchen nach Januschau, um nachzusehen, ob eine bestimmte Russengruppe schon ausgezogen sei. "Nein," meldetete sie, "die Fenster sind noch drin."

Am 30. April 1946 schrieb Hans Graf von Lehndorff in sein "Ostpreußisches Tagebuch": 

"Das Arbeiten an den Gräbern meiner Lieben gehört zu dem Schönsten, was mir in dieser Zeit zu tun vergönnt ist. Wie groß ist Gott, dass er mir eine solche Freude schenkt, dass er mich das Leben lieben lässt trotz allem, was über uns hingegangen ist."

Sein jüngster Bruder Meinhard (1921 - 1940) fiel mit 18 Jahren bei Maubeuge, zehn Tage nach Beginn des Frankreichfeldzuges. Beim Zusammentreffen mit französischen Panzern setzte ein Kopfschuss seinem Leben ein Ende. Als er gefallen war, begrub ihn der um 10 Jahre ältere Bruder Georg (1911 - 1943), der im gleichen Regiment diente, mit acht Kameraden am Straßenrand, eingewickelt in eine Zeltbahn. Und dann, als der Frankreichfeldzug beendet war, tat er etwas Verbotenes: Er grub bei Nacht den Toten wieder aus und brachte ihn heimlich nach Januschau. Er tat es, weil er glaubte, dass die Mutter es sich wünschte. Seitdem ist hier sein Grab.

Daneben liegt der zweitjüngste Bruder Elard (1913 - 1940). Er starb 6 Wochen später. Nach einem schweren Sturz im Alter von 18 Jahren auf der Rennbahn in  Karlshorst, bei dem er einen Schädelbasisbruch davongetragen hatte, war er nie wieder auf die Beine gekommen. Nun hatte ihm der Tod des geliebten Bruders den Reste gegeben. Nachdem er in den letzten Wochen fast nichts mehr gesprochen hatte, setzte eine Hirnblutung  seinem Leben ein Ende.

Ein paar Schritte entfernt steht der Grabstein von Georg Graf von Lehndorff. Nach dem Frankreichfeldzug, wo der jüngste Bruder neben ihm fiel, war er in Russland, erst vor Moskau, dann vor Leningrad. In der Nacht vom 14. zum 15. Januar 1943 begegnete er seinem Bruder Hans  in riesiger Gestalt im Traum. Da wusste Hans Graf von Lehndorff, dass er auch diesen Bruder verloren hatte, noch bevor er die telefonische Nachricht bekam. Er war am Ufer des Ladogasees tödlich  getroffen worden, als er einen verwundeten Kameraden retten wollte.

Der älteste Bruder, Graf Heinfried, und die Mutter konnten nicht auf dem Januschauer Familienfriedhof beigesetzt werden. Ihre Leichen wurden mehrere Wochen nach ihrem Tode irgendwo in einem Massengrab verscharrt.

Zur Erinnerung


Bild 28: Vier Brüder Lehndorff, von links nach rechts: Heinfried (1908-1945), Hans (Arzt und Schriftsteller, 1910-1987), Georg (1911-1943) und Elard (1913-1940). Das Foto wurde bei einem Reiterfest in der Reitschule Düppel bei Berlin gemacht.


Ende Mai ging das Gerücht um, die Januschauer Russen seien abgezogen und das Gutshaus stünde leer. Es waren aber noch mindestens zwanzig Russen da. Um das Haus herum lagen Schutthaufen, wie überall. Die großen Steinkugeln waren von ihrem Podest heruntergeworfen worden. Vor der Veranda  befand sich ein russisches Grab, umgeben von einem roten Zaun, auf dem die Wäsche trocknete. Im Park lagen verwesende Pferde. 

Von 6. August 1946 bis Mai 1947 arbeitete der Graf als Arzt im Rosenberger Krankenhaus. Auf  der Fahrt zu einem Patienten kam er einmal durch Neudeck und Langenau, den beiden Hindenburg' schen Gütern. Beide Gutshäuser waren abgebrannt und der Ort Neudeck war verwüstet.

Mitte Oktober 1946 begleitete ihn Schwester Erna auf einem Gang durch den Januschauer Wald. Dabei betraten sie auch das Gutshaus und warfen einen Blick in den Gartensaal. Er war total verwüstet und aus dem Stroh, das den Boden bedeckte, erhob sich eine Gestalt. Es war ein Russe, der das Haus bewachen sollte. Auf eine Besichtigung der anderen Räume haben sie dann verzichtet.

So ist das Januschauer Schloss im Laufe der Jahre immer mehr  heruntergekommen,  und drohte, zu zerfallen.

Januschau war bis zur polnischen Wende ein Staatsgut, eine so genannte PGR. Während dieser Zeit, also schon vor etwa 20 Jahren - wurde der Versuch unternommen, das Schloss wieder aufzubauen. Das Haus wurde entkernt und mit Stahlbetondecken versehen, der rechte Seitenflügel wurde abgerissen und der südliche Anbau wurde teilerneuert, dann wurden die Sanierungsarbeiten aus nicht bekannten Gründen - wahrscheinlich Geldmangel - eingestellt. Es folgen einige Fotos aus den Jahren 1989 - 2006.


Bild 29: Zustand 1989 




Bild 30: Ca. 1989 -  Renovierungsversuch des Herrenhauses. Es werden neue Fenster eingebaut.




Bild 31: Januschau ca. 1991 (Gartenfront)

Seit 2001 befindet sich das Gut im Besitz der polnischen Familie Zdun, die damit angefangen hat, die Gebäude allmählich wieder aufzubauen. Ihr Traum ist es, das Schloss so zu sanieren, dass es sich zu einem lukrativen Hotelbetrieb entwickelt. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg, der viel Arbeit, Zeit und sehr viel Geld kosten wird. Besonders kritisch ist ein Dachschaden, der bei dem sonst noch gut erhaltenen Dachstuhl zu erheblichen Beschädigungen führen könnte.




Bild 32: Januschau 2003 - Blick auf die linke Ecke der Rückseite (Gartenfront)




Bild 33: Januschau 2003 - Blick auf die linke Seite mit einem neuen Anbau




Bild 34: Januschau 2003 - Blick auf die rechte Ecke der Rückseite (Gartenfront) 





Bild 35: Januschau 2004 - die Gartenseite




Bild 36: Januschau 2004 - die Frontseite mit dem Haupteingang, links der neue Anbau


Januschau 2006



Bild 37: Einsturz der Hauptfassade

So sieht das Januschauer Schloss heute aus. Unglücklicherweise ist die Hauptfassade an der Auffahrtseite inzwischen eingestürzt. Ich wünsche der Familie Zdun, dass es ihr gelingen wird, den Schaden so bald wie möglich zu beheben, damit dieses Gebäude erhalten werden kann. 


Literaturnachweis:

Eulenburg, Adelheid Gräfin / Engels, Hans: Ostpreussische Gutshäuser in Polen, München: Verlag H.C. Beck 1995,128 Abb., 136 Seiten, Text S. 100 + 101.

Lehndorff, Hans Graf von: Menschen, Pferde, weites Land - Kindheits- u. Jugenderinnerungen. München: Biederstein Verlag 1980, mehrere Abb., 287 Seiten, Text S. 139-181. 

Lehndorff, Hans Graf von: Ostpreußisches Tagebuch, Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945-1947, dtv Dokumente, München: Deutscher Taschenbuchverlag, 15. Aufl. 1985, 287 Seiten, Text S. 212-257.

Lorck, Carl von: Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und Westpreussen. Frankfurt/Main: Verlag Weidlich 1965, gr. Bildteil, 150 Seiten, Text S. 116.

Müsse, Alfred: Der Kreis Rosenberg - Ein westpreußisches Heimatbuch, Detmold: Verlag Hermann Bösmann, mehrere Abb., 632 Seiten, Text S. 193, 195.

Oldenburg - Januschau, Elard von: Erinnerungen. Leipzig: Verlag Koehler & Amelang, 1 Abb., 230 Seiten, Text S. 7, 10, 11, 33-36, 46, 47, 65. 


Bildnachweis:

Dölling, Friedhelm, Bild 37.

Eulenburg, Adelheid Gräfin / Engels, Hans: Ostpreussische Gutshäuser in Polen, München: Verlag H.C. Beck 1995,128 Abb., 136 Seiten, Bild 31.

Heimat-Kurier - Heimatzeitung für den ehemaligen Kreis Rosenberg/Wpr., hrsg. von Karl-Heinz Damrow, Kaarst Jan/Febr. 1990, Bild 30.

Kimenkowski, Ewald: Hindenburg - Bilder und Goldene Worte. Berlin: Verlag Dr. Ewald Kimenkowski 1931, 130 Abb., 20 + 25.

Knoblauch, Holger (Sammlung), Bild 16, 35 + 36.

Landsmannschaft Westpreußen (Archiv), Bild 15, 21-23, 29.

Lehndorff, Hans Graf von: Menschen, Pferde, weites Land - Kindheits- u. Jugenderinnerungen. München: Biederstein Verlag 1980, mehrere Abb., 287 Seiten, Bild 1, 4-6.

Lipskey, Albert (Sammlung), Bild 32-34.

Lorck, Carl von: Ostpreußen - Eine Erinnerung an Ost- und Westpreußen und Danzig mit 122 Fotografien. Frankfurt: Verlag Weidlich, Bild 12.

Lorck, Carl von: Neue Forschungen über die Landschlösser und Gutshäuser in Ost- und Westpreussen. Frankfurt: Verlag Weidlich, 96 Seiten + Bildteil, Bild 2.

Mühleisen, Christa (Sammlung), Bild 7, 14, 18, 19, 26, 27.

Müsse, Alfred: Der Kreis Rosenberg - Ein westpreußisches Heimatbuch, Detmold: Verlag Hermann Bösmann, mehrere Abb., 632 Seiten, Bild 13.

Oldenburg - Januschau, Elard von: Erinnerungen. Leipzig: Verlag Koehler & Amelang, 1 Abb., 230 Seiten, Bild 3.

Zdun, Krzysztof (Sammlung), Bild 9+10.

Zebrowski: Erinnerungen an Riesenburg vor 1945 - eine bebilderte Rückschau, viele Abb., 96 Seiten, Bild 24.


Copyright Christa Mühleisen

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